Venedig-Tour 2: Naumburg – Salzburg

Irgendwo hinter Salzburg

Komm, setz dich zu mir. An die Wand einer Tankstelle in der österreichischen Provinz mit Blick auf Josi, auf Handwerker, die wie ich eine längere Pause in der Tanke machen wollten, auf die ersten Alpenberge, deren Spitzen gerade die Wolkendecke aufreißen.
Ich gebe zu, dass ich mir das Motorrad-Reise-Autorinnen-Dasein anders vorgestellt hatte: Ich wollte in einem Café bei heißer Schokolade mit süßer Sahne und einer leckeren Schweinerei schreiben. Nun, es ist, wie es ist, und das ist der erste Tag des Corona-Lockdowns in unserem Nachbarland. Statt der Cafés und Restaurants werde ich also die Tankstellenlandschaft kennenlernen. Auch spannend – hier steht zum Beispiel ein Hanf-o-mat, der gegen Geld alles Hanfige ausspuckt, was man sich nur vorstellen kann.
Aber die Stimmung bei mir und in diesem Land ist nicht nur wegen des Lockdowns seltsam, sondern auch, weil gestern in der Altstadt von Wien vier Leute erschossen wurden. Offenbar mit islamistischem Hintergrund, aber was macht das für die Angehörigen schon für einen Unterschied? Ich gebe zu, dass mein erster Gedanke bei dieser Nachricht »Puh, zum Glück war ich gestern Abend in der Altstadt von Salzburg unterwegs!« war. Egoistisch, aber wahr. Meine größte Sorge war es, einen Platz für mein Zelt zu finden – und mich nicht zu sehr über die Obdachlosen aufzuregen, die alle geeigneten Plätze schon besetzt hatten.
Aber jetzt mal der Reihe nach, zumindest ein bisschen.

Sturm- und stromfreie Bude!

In Naumburg durfte ich in einer großen Wohnung aufwachen, die mir Anne überlassen hatte. Ich kannte Anne vorher nicht, was sie nicht davon abhielt, die Nacht bei ihrem Liebsten Frank zu verbringen und mir warmen, trockenen und stromlosen Freiraum zu geben.

Aus Gründen, die mich zwar sehr interessiert hätten, die ich aber nicht erfragt habe (ja, ich kann taktvoll sein!), war der Strom in der Wohnung abgestellt. Für den Abend hatte Anne mir dutzende Kerzen angezündet, und am Morgen gab es eine Premiere: Ich habe mir den ersten Gaskocher-Kaffee gekocht! Dass das in einer Wohnung und nicht in der Wildnis geschehen ist, spricht wohl Bände.

Mit großem Dank in Richtung Anne und dem Gedanken, dass Fremde tatsächlich Freunde sind, die man noch nicht kennt, ging es weiter in Richtung Venedig.

Neblig, nass, lustig und lecker

Über diesen Tag ist nicht allzu viel zu sagen, ich habe nicht viel von der Gegend gesehen. Es war neblig, es hat genieselt, es waren zehn Grad – und all das durchgängig. Natürlich hat auch das seinen eigenen Charme, und wer Venedig im Herbst erleben will, darf sich über die Anfahrt im Herbst wohl nicht beschweren.

Zumal ich zum einen durch lustige Ortsnamen aufgeheitert…

… und in einem kleinen Gasthof gestärkt wurde, in dem die Leckerein noch von Hand auf die Menükarte geschrieben werden.

Frieren und plaudern

Bei meiner Ankunft in Cham war ich ein schlotterndes Bündel: Der Regen hatte schon lange seinen Weg durch meinen Anzug gefunden und die Kälte gleich mitgebracht. Also warf ich meine hehren Zelt-Vorsätze über den Haufen und fragte in einer Kirche nach einer kleinen Ecke für mich und meinen Schlafsack. Leider vergebens, denn man hatte mit Übernachtungsgästen im Gemeindesaal schlechte Erfahrungen gemacht. Dafür wollte der nette Priester (Pfarrer?) mir ein Hotelzimmer spendieren. Das war wirklich nett und verlockend. Aber da das Geld dafür aus Gemeindemitteln, also Spenden und Beiträgen gekommen wäre, hab ich abgelehnt. Dafür ist das Geld nicht gedacht. Also doch zelten, und zum Glück hab ich schnell ein unbebautes Grundstück gefunden, auf dem ich ungestört schlafen konnte.
Von Cham aus ging es weiter in Richtung Passau und zu einem sehr netten Aufenthalt bei Armin. Den kannte ich bisher nur von facebook und freue mich umso mehr über seinen tollen Text zu meinem Buch und meiner Reise. Er, der Text, wird im kommenden GS-MotorradMagazin erscheinen.
Armin hat mir sogar noch ein neues Reisetagebuch geschenkt – so wichtig! Ich habe immer eines im Kartenfach des Tankrucksacks und halte alle naselang für Notizen an, wenn mir etwas auf- oder einfällt.

Gute Nacht!

Eigentlich sollte dieser Tag, der trockener und bunter und damit schöner war als der gestrige, in Salzburg ausklingen; ein Eckchen in der Altstadt hätte ich sehr charmant gefunden. Nun, es sollte nicht sein. Dafür wartete ein ruhiger Platz hinter einem Architektenhaus auf mich…
und Kühe, die mich am Morgen begrüßten.
Und jetzt geht es weiter, der Kaffee ist schon lange alle und mein Rücken wird auch langsam grantiger.
Schön, dass ihr mich begleitet – bis später!

Karpaten 5 – Verliebt in die Maramures

In einigem bin ich richtig schlecht. Im Zappen, zum Beispiel. Ich nehme mir vor, mal durchzuschauen, was so läuft – und bleibe im Ersten hängen. Ob ich deshalb auch gleich den Maramures, meiner ersten Region in Rumänien, verfallen bin? Vielleicht – aber bestimmt nicht nur. Auch viele Rumänen entdecken das Kleinod in diesem Jahr, in dem Corona ihnen Auslandsreisen verwehrt.
Das erste, was mir in Rumänien auffiel, war die unglaubliche Freundlichkeit der Menschen. Ich muss gestehen, dass ich nicht daran geglaubt hatte, obwohl es mir oft gesagt wurde. Der Weg hierher war eine freundlichkeitstechnische Durststrecke, vor allem durch Tschechien und Ungarn, in der Slowakei ging es schon wieder. Ich finde Pauschalisierungen echt schwierig, aber ich habe mich durch die vollkommen fremden Sprachen auf der einen, und durch die kurz angebundenen Menschen, die kaum Blickkontakt halten und schon gar nicht suchen auf der anderen Seite plus einen Fall von böswilliger Kaffeeverweigerung so einsam gefühlt, dass bei jedem Kind, das meinem Motorrad und mir winkte, mein Herz hüpfte und ich enthusiastisch zurückwinkte. Irgendwann war sogar ich diejenige, die zuerst winkte…
Wahrscheinlich zieht sich nun eine Spur von Eltern durch Tschechien und Ungarn, die ihre Kinder nachdrücklich mit “Du musst keine Angst haben, die verrückte Winkefrau auf dem Motorrad ist jetzt gaaaanz weit weg!”
Und dann komme ich nach Satu Mare, Rumänien, frage einen Menschen nach dem Weg in die Innenstadt und werde von ihm hingebracht. Bitte dort einen Passanten um eine Restaurantempfehlung – und werde wiederum gleich hingebracht Stehe am nächsten Tag irgendwo in der Pampa und überlege, ob ich links oder rechts fahre, als mir ein Hutzelmännchen von 273 Jahren auf die Schulter klopft und mir mit zahnlosem Lächeln und strahlenden Augen zwei Birnen in die Hand drückt. Jedes Mal hätte ich heulen können. Seit einigen Tagen bin ich nun in Rumänien und habe keinen unfreundlichen Menschen getroffen. Manche Klischees sind mehr als das.
Die Maramures sind eine kleine, zur Hälfte gebirgige Region im Nordwesten Rumäniens und ländlich geprägt.

Die D18 über den Gutai-Pass – ein Leckerbissen!

Ländlich geprägt bedeutet hier, dass tatsächlich die Familien das Heu auf den Feldern zusammenrechen, dass die Rasenflächen inner- und außerorts mit der Sense gemäht werden…

… dass immer wieder Pferdefuhrwerke – manchmal mit einem störrischen Kalb im Schlepptau – auf der Straße unterwegs sind, dass Melonen, Pflaumen, Kartoffeln und vieles mehr aus dem eigenen Garten oder aus Gemeinschaften am Straßenrand verkauft werden. Wer Glück hat (ich!), bekommt von Danina und Bogdan ein Glas Palinka, selbstgebrannten Pflaumenschnaps, eingeschenkt aus der 1,5l-Plastikflasche in Uromas Kristallgläschen. Holla, das Zeug brennt!
Aber das Fahren, insbesondere auf kaputten Straßen, geht sehr viel geschmeidiger.
Uroma und Uropa sind feste Bestandteile im Straßenbild, egal, ob noch gut zu Fuß, auf dem Klapperrad (eher er) oder mit Gehhilfe. Manchmal im Garten die Katzen oder sich selbst versonnen in einem alten, hölzernen Handspiegel betrachtend, manchmal mit Oma von nebenan auf der Bank sitzend und plaudernd, manchmal allein auf der Bank und Obst putzend oder Wolle spinnend, als wäre Schneewittchen nicht nur ein Märchen.
Die Bänke gehören zu den Orten wie Straßenschilder und Läden; gerade in kleinen Orten steht vor jedem Haus eine. Bisher habe ich keinen zwei gleichen gesehen, ich vermute also, dass es sich dabei um Privatinitiativen im ursprünglichen Sinne handelt.
Ich glaube, ohne diese Bänke würde die Kommunikation in den Dörfern zusammenbrechen, sie ersetzen Telefon, Radio und Fernseher gleichermaßen. Dabei leben Uroma und Uropa gar nicht so altmodisch, wie man denken mag – sie haben auch schon mal ein Nokia am Ohr. Vielleicht sind sie für die Moderne das, was das Nokia fürs Smartphone ist? Immer wieder belächelt, aber unverwüstlich? Schließlich tragen sie zu Sandalen, Kompressionsstrümpfen, dem dunkel geblümten Rock, der lila geblümten Bluse und dem dunklen Kopftuch eine leuchtend blaue Einwegmaske.
Auf die wunderschönen schlanken Holzkirchen kann ich gar nicht eingehen – das müssen andere tun. Wenn man sie betritt, wird die Seele berührt.

Corona ist auch hier.

Wie zu vermuten, spielt der Glaube, oder vielmehr die verschiedenen Glaubensrichtungen auf dem Land eine größere Rolle als in der Stadt. Einen Morgen verbrachte ich in Sapanta und wunderte mich über die Muezzin-Gesänge. Im Zentrum angekommen begriff ich (und bekam es von einer Einwohnerin bestätigt): Der orthodoxe Gottesdienst wurde wegen Corona per Lautsprecher in die gesamte Stadt übertragen. IN DIE GESAMTE STADT. Und auch das war magisch.
Sapanta ist vor allem für den “Fröhlichen Friedhof” bekannt, wo der Verstorbenen unter liebevoller Nennung ihrer Eigenheiten und Macken gedacht wird.
Ich fand ja viel witziger, dass der Friedhof zwei offene WLAN-Netze hat, eines davon G5 – und beide tot…
Außerdem gibt es ein paar äußerst spannende Malereien: Nimmt Adam etwa selbst einen Apfel? Warum meckert die Schlange nur mit Eva? Und sind das Soldaten, die Jesu Zustand am Kreuz prüfen?
Meine Nächte bleiben weiterhin vielfältig…
… und werden von mehr oder weniger liebsamen wilden Tieren begleitet:
A propos wilde Tiere: Die wilden Hunde von Rumänien waren bisher tatsächlich ein Problem, allerdings anders als vermutet: Am liebsten hätte ich den Fratz mitgenommen, auch wenn er meine besten Socken zerbissen hat.

Der gehörte aber zu der Tankstelle, wo ich die erste Zigarette meiner Tour geschenkt bekam. Das scheint dazuzugehören!
Morgen werde ich die Maramures schweren Herzens verlassen und in die Region Moldau weiterfahren. Wahrscheinlich hat Rumänien mehr zu bieten als „nur” das Erste!
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Josi ist top in Form dank:
– BTB Boxertechnik Berlin GmbH
– Wilbers Performance Suspension