Karpaten 7 – Durch die Moldau

Auf dem Weg vom paradiesischen Campingplatz in Breb zu meinem Josi-Abenteuer am See streife ich eine Region, die ich euch nicht vorenthalten möchte: die Moldau (=Moldova, benannt nach einem Flüsschen, das nix mit der Moldau in Tschechien zu tun hat). Ich erreiche sie über meinen ersten richtigen Karpatenpass bei Prislop. Was für ein großartiges Gefühl! Es ist früher Nachmittag, die Straße ist fast leer und die unerträglich hohen Temperaturen fallen mit jeder Kurve bestimmt um 1 Grad. Danach geht es auf einer schmalen Straße lange durch durch den Wald – für diese Vielfalt bin ich hergekommen. An einem Fluss haben Familien Picknickdecken ausgebreitet, manche sogar Zelte aufgebaut, sie scheinen das Wochenende hier verbringen zu wollen. Corona hält die Rumänen im Land, und sie machen das Beste daraus.

Die Dörfer, durch die ich komme, sind unfassbar klein. Kühe laufen frei herum, grasen und schauen auch schon mal entspannt, ob das Gras auf der anderen Seite der Straße nicht grüner ist.

Andere warten geduldig auf ihren Einsatz.

Eine Handvoll Häuser, ein kleiner »Magasin Mixt« (der gute alte Gemischtwarenladen), eine Kirche. Manchmal nicht einmal die – und das will in diesem Land schon was heißen. Wie lebt, wie überlebt man hier als Jugendlicher, als homosexueller Mensch, als ungewollt Schwangere?

Ich bin überrascht, wie schwer es ist, in dieser Region einen Platz für mein Zelt zu finden: In den Bergen gibt es dichten Wald, die Straße und verstreute Rastplätze. In den Orten scheint jeder Quadratmeter jemandem zu gehören, alles ist umzäunt; bewohnte Häuser meist blickdicht mit mannshohen Zäunen, Grundstücke mit oder ohne Eigenheim-Baustelle mit Maschendraht. Außerdem habe ich das Gefühl, nichts unbeobachtet tun zu können; irgendwo geht, steht, sitzt oder schaut immer jemand. Und warteten in der Maramures noch Bänke neben den Toreingängen auf die Bewohner, gibt es hier sogar Einlassungen in den Zäunen. Sitzen, schauen und reden sind so feste Bestandteile des Alltags, dass die Architektur sich darauf eingestellt hat.

Und auch wenn ein Haus noch lange nicht fertig ist – der Stuhl zum Sitzen und Schauen steht bereit.

Es ist mal wieder eine Kirche, an der ich mich einrichten kann, sogar eine der wunderschönen alten Holzkirchen.

Nach einer ruhigen Nacht wecken mich Kühen, Hähne, Hunde, Esel und Vögel – die stille Natur ist ein Mythos. Während ich das Zelt abbaue und Josi belade, wird mir bewusst, dass Sonntag ist: Von überall her strömen Menschen in schicker Kleidung – die Männer oft im Anzug, die Frauen oft in Tracht und mit Kopftuch oder im Kleid – die Straße hinunter, an deren Ende eine weitere Kirche steht. Eine ältere Dame, ebenfalls in Tracht, wartet offenbar auf ihre Mitfahrgelegenheit: Sie pustet die Holzbank vor meiner Kirche sorgfältig sauber, bevor ihr schwarzer Rock sie berühren darf.

Ein junger Mann kommt auf dem Fahrrad daher und bekreuzigt sich, als er an meiner Kirche vorbeifährt. Wieder einmal fühle ich mich wie in einer anderen Welt.

Die Moldau ist reich an rumänisch-orthodoxen Klöstern, viele davon mit atemberaubend schönen Außenmalereien. Ich schaue sie mir jedoch kaum an: Ich will nur die alten Holzkirchen sehen und riechen. In den anderen bemerke ich eher kleine Kuriositäten.

Moderne Zeiten.

 

Sitzwache ist anstrengend, da darf Kaffee nicht fehlen.

 

Alles, was man braucht.

Spannend sind auch die Friedhöfe, oft sind Fotos der Verstorbenen auf den Kreuzen angebracht. Und manchmal wurden Inschriften mit Edding ergänzt.

Wann immer ich eine der Städte erreiche, die mit höchstens 80.000 Einwohnern wirklich keine Weltstädte sind, bin ich überfordert. Nach so viel Natur und ihren Geräuschen bin ich für Stadtlärm nicht mehr zu haben, schon gar nicht bei 32 Grad. Ich habe Kopfschmerzen, kann nicht mehr weiterfahren. Mitten in der Stadt mache ich auf einer Parkbank ein Schläfchen – meine Ohrenstöpsel machen es möglich. Die nachfolgenden achtzehn Kilometer Schotterweg durch dichtesten rumänischen Mischwald sind Balsam für meine Nerven, sogar das Grinsen stellt sich wieder ein. So kann es weitergehen!


Frau vor Zelt in Natur

Karpaten 2 – Der Weg ist das Ziel

Drei Kaffee nach dem Beitragsbild ein kleiner Versuch, die vergangenen Tage auf dem Weg in die Karpaten zusammenzufassen.
In ganz kurzer Kürze: Es ist ein Traum!
Selbst der Weg dorthin ist wunderschön und unterhält mit allerlei Spannendem und Kuriosem.
Immer wieder stehen Einheimische am Straßenrand und pflücken, was die Bäume und Sträucher gerade bieten: Pflaumen, Beeren, Birnen. Es strahlt eine Ursprünglichkeit aus, die gut tut. Ist wahrscheinlich wieder der westlich-verklärende Blick – vielleicht wünschten sie sich, die Rente wäre höher und der Supermarkt näher?
Immer wieder stehen am Straßenrand Gestalten in Gruppen – in Tschechien gönnt man ihnen Kopfbedeckungen, in der Slowakei nicht.
Immer wieder (gefühlt) fährt man über Grenzen (CZ-PL-SK, und das auch mal hin und her), die (wiederum gefühlt) so gar nichts bedeuten – und das ist einfach großartig. Tatsächlich gibt es viele fast grüne innereuropäische Grenzen, bitte mehr davon!
Das Dreiländereck ist übrigens voll fürn Arsch. Stellt euch eine Torte vor, die in drei Stücke geteilt ist. In jedem Stück stecken nahe (!) der Spitze dreieckige (immerhin) Kerzen bzw. Marmorstelen mit den jeweiligen Landeswappen – ca. 50 Meter voneinander entfernt. Das war’s. Ich wollte den einen Punkt, in dem sich die drei Länder treffen, nicht drei Stelen irgendwo! Dort, wo der Punkt sein müsste, fließt ein Bächlein. Egal, wieder was gelernt: Mein Four Corners Point in den Staaten ist schwer zu toppen.
Immer wieder halte ich an, um die Landschaft fotografieren, in die die Straße vor mir sich hineinwindet – vergebens. Nicht das Anhalten, sondern das Einfangen. Grün, weit, hügelig bis bergig, darüber strahlend blauer Himmel.
Immer wieder stoße ich auf Spuren der militärischen Vergangenheit – sei des bei dem Typen, der für 10 Euro pro Person Touristen 15 min in seinem Panzer durch den Matsch fährt…
… sei es am Autofriedhof, auf dem auch eindeutig ausrangierte, weil verrostete Schnellboote liegen. Natürlich mache ich Fotos, werde aber von einem Typen, der im weißen Jeep angedüst kommt, dazu angehalten, sie zu löschen – das sei verboten. Hallo??? Das ist alles Schrott, jeder kann es sehen, warum soll das verboten sein?? Du hast hier doch bestimmt nicht mal was zu sagen – wo ist dein Ausweis?! Aber ich gebe mich zerknirscht und lösche die Handybilder. Nicht ohne sie beim nächsten Stopp wiederherzustellen. Das ich auch noch Bilder mit der Kamera gemacht habe, hat er gar nicht gecheckt – der mit Sicherheit nicht geschult.
Und immer wieder muss ich abends schauen, wo ich mein Zelt aufbaue. Bisher habe ich immer Glück, mein Aufstieg ist unaufhaltsam: vom verfallenen Irgendwas…
… über ein Eigenheim (na gut, ein Rohbau, neben dem ich zeltete) bis hin zum Feriendorf für mich allein…
… und heute Nacht ein weites Feld mit der Hohen Tatra, deren Umrisse von unfassbar hellen Sternen beleuchtet werden. Die Sterne sind so hell, dass ich während eines Pipigangs Orion, Kassiopeia und den Schwan sehen kann – und das ohne Kontaktlinsen!
 
Es ist einfach wundervoll.