“Wie ist der Iran?” _ 1: Selfie-Manie

“Und, wie ist der Iran?” Tja, wie ist er? Oft habe ich habe diese Frage in aller Naivität an Menschen gerichtet, die das Land bereist hatten. Inzwischen bin ich heilfroh, dass mich jeder Reiseführer und jedes Buch über den Iran von einer eindeutigen Antwort entbindet. Wenn ihr hört oder lest, dass der Iran wunderbar, unvergleichlich, vielfältig, widersprüchlich und schrecklich ist, dann stimmt das. Er ist all das – und vieles mehr.

 

Ein Versuch im Widersprüchlichen

In seinem Iran-Reiseführer* schreibt Walter M. Weiss, dass Vorstellungen und Erwartungen bei wohl keinem Land so stark von den Erfahrungen abweichen, die man schließlich macht. Doch egal, ob Vorstellung oder Erfahrung: Durch alle Bereiche zieht sich Vielschichtigkeit, meist eher Widersprüchlichkeit. Alles, was ich schreibe, ist subjektiv. Aber immerhin war ich drei Monate lang dort – einiges könnte also durchaus stimmen. Trotzdem bleibt alles bruchstückhaft – Mosaiksteine, die bestenfalls eine Ahnung vom vollständigen Bild “Iran” ergeben.

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Ausschnitt aus Mosaik an Moschee im Iran (blau, gelb, weiß)

Eigentlich wollte ich einen schönen umfassenden und natürlich ausgewogenen Beitrag schreiben. Er sollte eine mögliche Antwort auf die Titelfrage geben – dumm gelaufen. Warum? Weil ich mit dem Thema “Selfies” angefangen und allein das schon für einen ganzen (manchmal zu emotionalen) Artikel reicht.

 

Heute also Mosaiksteinchen Nr. 1: Selfies und SelfiesPLUS

“Die Iraner lieben ihre Selfies!” Diesen Satz las ich in einem Reiseführer, wunderte mich darüber, dass so etwas erwähnt wird, und verstand es, sobald ich im Land war. Egal, was oder wo oder wann oder wie – Iraner machen damit, davor, darin oder dabei ein Selfie. Manchmal werden Begleiter als verlängerter Arm genutzt. Ich habe kaum jemanden gesehen, der einfach nur Landschaft oder Sehenswürdigkeit fotografiert hätte, immer war das eigene Gesicht mit im Display.

Selfie-Profis

Und das nicht nur irgendwie, sondern hochprofessionell, als wäre das Bild nicht zur eigenen Erinnerung, sondern für ElitePartner bestimmt. Das war gerade bei den Damen ein wenig lustig, weil sich viele von ihnen wegen operierter Nasen und aufgefüllter Lippen durchaus ähnlich sehen. Aber bevor ihr spöttisch lächelt: Nicht wenige Herren der Schöpfung laufen mit Nasenpflastern rum, auch sie lassen sich immer öfter bearbeiten.
Also: die Posen wurden sorgsam gewählt, der Gesichtsausdruck sowieso, und so gut wie nie war es mit dem ersten Versuch getan. Nein, das Foto wurde gecheckt und das Prozedere bis zur Zufriedenheit wiederholt. Spontaneität war gestern.

PS.: Es gibt Jungs und Männer, die ihr Leiden als persönliche Fotografen ihrer Partnerinnen (und die Verrenkungen, die sie für das perfekte Foto auf sich nehmen mussten) bei “Boyfriends of Instragram” auf (logisch) Instagram verarbeiten – es ist zu schön.

SelfiePLUS

Natürlich hatte ich damit gerechnet, als Motorradreisende mit Hund auf dem einen oder anderen Foto zu landen – allerdings nicht in diesem Ausmaß. Dabei hätte mich durchaus auf mehr Aufmerksamkeit einstellen können: Iranern sind Motorräder über 250 ccm verboten (es gibt sie natürlich trotzdem, sie werden nach Einbruch der Dunkelheit ausgefahren), es kaum Motorradgespanne, nie fährt ein so entzückender Hund wie Polly mit, und nie wird das Gespann von einer Frau gefahren. Weil Frauen nämlich überhaupt nicht Motorrad (nicht einmal Fahrrad!!!) fahren dürfen.

 

Hündin Polly in BMW-Motorrad-Gespann vor dunklem Himmel

Wir wurden also bemerkt und fast durchgängig als Attraktion eingestuft – die natürlich mit dem Handy eingefangen werden musste. Wenn wir irgendwo standen, war das kein Problem, dann wurde eben ein Selfie mit uns gemacht. Manchmal wurde ich gefragt, manchmal nicht, manchmal war ich in Stimmung, manchmal nicht.

Grenzwertiges

Nervig war es während der Fahrt. Unzählige Beifahrer zogen mit gezücktem Handy an uns vorbei. Was mir zuerst geschmeichelt hat, hat bald genervt – ich wollte nicht permanent von wildfremden Personen gefilmt werden. Bald aber wurde klar, dass ich für dieses stille Vorbeiziehen dankbar sein konnte.

Geht’s noch?!

Regelmäßig wurde ich überholt, das Auto setzte sich vor mich, die Fahrerhand machte eine beschwichtigende Geste aus dem Fenster, das Auto wurde langsamer. Nanu? Blitzer? Polizei? Ein Defekt an Molly? Flatterte Pollys Decke heraus oder gar ihr Bein?

Drei oder viermal habe ich daraufhin hinter dem Auto angehalten, nur um mit der Frage “Selfie?” konfrontiert zu werden. Hallo, geht’s noch? Wie unverschämt kann man sein? Ich bin eigen, was meine Zeit und die Autonomie meiner Entscheidungen angeht – wie jemand einfach davon ausgehen, dass ich Zeit und Lust habe anzuhalten, nur weil ihm oder ihr nach einem Foto ist?? Ich weiß, dass ich gerade nicht nach der sympathischsten Person der Welt klinge, ich habe mich in diesen Momenten auch nicht so gefühlt. Nach mehrfachem Ausgebremstwerden war ich nur noch genervt.

Die Krönung: Ein Autofahrer, dessen Ausbremsversuche ich dreimal durch Überholen meinerseits ignoriert habe – und der mich jedesmal wieder überholte und rauswinken wollte – beschleunigte am Ende wütend vor mir auf dem sandigen Seitenstreifen, sodass Polly und ich durch eine Sandwolke fahren mussten. Natürlich war das eine Ausnahme, hat meine Einstellung zu Fotowilligen jedoch nicht unbedingt verbessert.

Das perfekte Accessoire?

An einer roten Ampel hielt eine Rennrad-Lady neben mir, bat um ein Foto mit mir – und riss dafür meine Hand in gemeinsamer Siegespose nach oben. Doch das war noch nicht das Seltsamste: Über Wochen schickte sie mir Nachrichten mit der Aufforder… äh, Bitte, das Bild auf meinem Kanal zu posten.

Screenshot von Instagram-Nachrichten

Als ich mir die Grabstätten der großen Perserkönige in der Nähe von Persepolis anschaute, löste sich eine junge Frau aus einer Gruppe, kam auf mich zu und fragte, ob sie ein Selfie mit mir machen dürfte. Ohne Begrüßung, ohne sich vorzustellen, ohne irgendetwas von mir wissen zu wollen. Warum? Warum macht man so etwas, was hätte sie von diesem Bild gehabt? Wem hätte sie es gezeigt – und was hätte sie zu mir erzählt?
In dieser Situation konnte ich zum ersten Mal nachvollziehen, warum viele indigene Völker sich nicht fotografieren lassen wollen – sie fürchten, ihre Seele könnte ihnen abhandenkommen.

Vielleicht hätte ich die Aufmerksamkeit leichter weggesteckt, wenn ich nicht eher introvertiert und/ oder mit jemandem gereist wäre. Vielleicht. Trotzdem hätte mich irritiert, wie selbstverständlich Iraner davon ausgehen, dass man fotografiert werden möchte. Und wie distanzlos sie manchmal sind.

 

Was fotografieren wir da eigentlich?

Vorab: Jeder kann die Fotos machen, die er oder sie möchte – solange die Abgebildeten einverstanden sind. Man kann wohl annehmen, dass das bei Selfies der Fall ist. Und wahrscheinlich ist die Selfie-Manie überall dort zu beobachten, wo es Smartphones gibt – sie ist kein iranisches Phänomen. Die halbmeterlangen Teleskopstöcke, mit denen man ein Selfie machen und zugleich unsympathische Menschen verletzen konnte, haben sich nicht etabliert. Schade eigentlich. Die Kameras von Smartphones jedoch werden immer mehr auf Selfies und deren Bearbeitung hin optimiert.

Sehenswürdigkeiten und Naturschönheiten scheinen oft erst dann fotowürdig zu sein, wenn das eigene Gesicht mit auf dem Bild ist. Dass es dann im Vorder- und der Rest im Hintergrund ist, liegt in der Natur der Sache. Womit sich die Frage stellt: Was wird da eigentlich fotografiert? Sind die Hintergründe einfach willkommene Vorwände für ein Eigenbild? Soll das Gesicht zeigen, wer das Bild gemacht hat? Wohl kaum. Soll es die Echtheit des Bildes beweisen – das eigene Gesicht als Wasserzeichen? Bei all den Bearbeitungsmöglichkeiten heutzutage hat sich das wohl auch erledigt.

Wenn wir Selfies machen, fotografieren wir vor allem uns. Durch die wechselnden Hintergründe verankern wir uns in Zeit und Raum: “Damals war ich dort – und als ich damals dort war, war ich so.”

 

Eine Erklärung für die iranische Selfie-Manie?

Im Iran – und vielleicht auch in anderen restriktiven System – könnte noch etwas anderes hinzukommen, das sich zwischen Selbstversicherung, Verlustangst und einer Art Gier nach der Welt bewegt. Dieser Gedanke kam mir, als ich auf folgenden Gedanken stieß:

 

schwarz-weiß Bild mit Kamera und Zitat in Schreibmaschinenenstil: "If you want to learn what someone fears losing, watch what the photograph."

Soll die Welt, sollen Erinnerungen vielleicht noch stärker festgehalten werden, weil Freiheiten an so vielen anderen Stellen eingeschränkt werden? Fotografiert man, was man kriegen kann, verortet man sich, wo man kann, weil wirklich freie Entfaltung verwehrt wird? Und holen die Menschen etwas von der freien, westlichen Welt in ihr Leben, indem sie sich mit Menschen und Dingen daraus fotografieren? Mir fehlen soziologische Kenntnisse, um diese Frage angemessen zu beleuchten. Spannend finde ich sie allemal.

Screenshot von google Translate Farsi-Deutsch: Ich war immer bestrebt, einen Ausländer aus der Nähe zu sehen

aus der Unterhaltung mit einer Frau in einem Straßenimbiss

Offen bleiben (mindestens) zwei Punkte: Trifft der Satz auch auf Menschen zu, die in Restaurants ihr Essen fotografieren? Und auf Männer, die ihr Bier fotografieren und es posten? Oh, da muss ich vorsichtig sein: Ich habe schon so manchen Cocktail fotografiert. Warum? Ich denke, es war das wohltuende Gefühl, mir etwas zu gönnen – und das will ich ganz bestimmt nicht verlieren.

 

Selfies mit und ohne Hijab

Ein letzter – wieder ernster – Aspekt: der Hijab auf (Selfie-) Fotos. Die iranische Gesellschaft ist in vielerlei Weise gespalten, eine davon ist das private vs. das öffentliche Leben. Im privaten Rahmen dürfen Frauen das Schaltuch abnehmen, welches ihre Haare zumindest teilweise bedecken soll. Wann immer ich in einem solchen privaten Rahmen um ein Foto gebeten habe, wurde der Hijab wieder umgelegt: Man weiß ja nie, wer das Foto sehen könnte.

Dass Frauen ohne Hijab auf die Straße gehen – und dafür eingesperrt, gefoltert und getötet werden können – haben wir mitbekommen. Für mich ist all das trotz aller Berichte noch immer surreal: die Vorschrift, der Mut der Frauen, die sich widersetzen, die absurden Reaktionen des Regimes. Frauen erhalten Warn-SMS, wenn eine Überwachungskamera sie im öffentlichen Raum ohne Hijab erfasst. In Teheran wurde eine Frau angeschossen, die ihr Tuch im Auto abgenommen hat. Sie wird gelähmt bleiben.

 

Das politische Selfie

Und doch wagen es immer mehr Frauen, sich ohne Hijab auf Instagram zu zeigen – auf ihren persönlichen Profilen. Sie nutzen die Selfie-Selbstdarstellung, um politische Aussagen zu machen, um eine erhoffte Zukunft zu zeigen. Kein Wunder, dass das Regime auch diese Bilder als staatsfeindlichen Widerstand betrachtet und strafrechtlich verfolgt.

 

Cartoon: The Supreme Leader's Cane. Death Penalty in Iran

“The Supreme Leader’s Cane” in: Iran Human Rights

 

Mir fehlen im Grunde die Worte für den Mut der so protestierenden Frauen. Sie riskieren ihre Freiheit, ihr Leben – und posten diese Bilder trotzdem. Ich wünschte, ich könnte von ihnen lernen. Aber geht das in meiner wohligen Welt überhaupt? Wo habe ich Gelegenheit dazu? Oder sollte ich einfach dankbar sein, nicht so mutig sein zu müssen?

PS.: Du bist über darüber gestolpert, dass die Iraner Instagram nutzen? Hört man nicht immer, soziale Medien seien im Iran verboten? Gut aufgepasst :-). Der nächste Beitrag erzählt mehr darüber.


Mit wehem Herzen in der Türkei

Schon im Mai, auf dem Weg durch den Iran und ins Pamir-Gebirge, habe ich mich in die Türkei verliebt. Nie war sie auf meiner Liste möglicher Reiseziele, ich habe mit ihr nur viele Deutsche an vollen Stränden verbunden. Dass die Türkei ein atemberaubend schönes Land mit freundlichen, witzigen Menschen und leckerem Essen ist, musste ich – im wahrsten Sinne des Wortes – erst erfahren.

Konya, Türkei: zwei alte Männer auf Elektro-Rollern Felsige Bucht hinter Sträuchern Moschee in Konya, Türkei

Die Türkei schafft es, dass Pollys Verlust immer mal wieder für einige Augenblicke in den Hintergrund tritt und ich einfach nur staune – manchmal sogar genieße.

Sandige Oberschenkel vor Meer und blauem Himmel

Das Baden im kristallklaren Marmarameer war so ein Moment.

 

Strategien

Während ich fahre, versuche ich, mich daran zu erinnern, dass ich das Alleinreisen vor Polly mochte, es mir gar nicht anders vorstellen konnte. Ich hoffe, dass ich davon etwas zurückholen kann, bin aber derzeit weit davon entfernt. Da ist einfach “diese Lücke, diese entsetzliche Lücke”, wie Joachim Meyerhoff so perfekt schrieb.

Um dem Gefühl, allein durch die Weltgeschichte zu taumeln, etwas entgegenzusetzen, schaffe ich mir Rituale: Ich bleibe länger an Orten, die mir gefallen, kaufe immer im gleichen Laden ein, esse immer im gleichen Lokal. So werden Gesichter vertraut und ich bald mit einem Lächeln des Wiedererkennens begrüßt. Das tut mir gut.

Elazig, Türkei: Tische für Cay / Tee

Warum ich nicht einfach nach Hause fahre? Nun, zum einen ist meine Wohnung noch bis Ende November untervermietet. Und zum anderen gibt es Zwischenziel, das mein Herz froh macht: Zu meinem Geburtstag Ende Oktober treffe ich meinen Mann Bill in Griechenland. Es wird nur für ein paar Tage sein, aber wir werden einen seiner Kindheitsträume wahrmachen – ich kann es kaum erwarten!

 

Wie enthunde ich meinen Blick?

Mir war nicht bewusst, dass ich durch eine Hundemama-Brille auf die Welt schaue; ich bin sicher, dass es jedem Menschen mit Hund ebenso gehen würde. Sehe ich eine Wiese, lächle ich bei der Vorstellung, wie Polly ihre Schnute durch das Gras schieben würde. Sehe ich Dreck, verdrehe ich die Augen: Sie hätte sich mit Sicherheit genüsslich darin gewälzt. Wasser? Niemand schlabbert Wasser so laut und so freigiebig wie meine Dicke – Pflanzen wären an ihrem Wassernapf immer gut gewässert gewesen.

Und erst all die einsamen Straßen, auf denen sie vorneweg gelaufen wäre! Jeden Meter hier am Marmarameer hätte sie geliebt.

felsige Küste mit Sandweg

Im Elburs-Gebirge, das wie ein Wall zwischen dem Kaspischen Meer (auch liebevoll „Kaspi-Meer“ genannt) und dem Rest des Irans liegt, sind wir einmal bis weit nach Mitternacht durch eine entlegene Region gefahren. Meist ging es bergab, sodass ich mit ausgeschaltetem Motor durch die Stille hinter ihr her rollen konnte. Der Vollmond hat alles sanft beleuchtet. Ich glaube, sie war ebenso glücklich wie ich.

Und erst die Katzen überall! Polly hat nie einer etwas getan (eher eine bekrallte Pfote über die Nase gezogen bekommen), aber sie muss ihnen einfach hinterherflitzen wie ein Kind den Stadttauben. Dass es sich nun ausgerechnet Katzen auf Molly und im Beiwagen gemütlich machen, ist eine Ironie dieser Reise.

zwei Katzen liegen auf Motorrad-Gespann

All das macht das Unterwegssein ohne sie manchmal so schmerzhaft, dass ich am liebsten nur Autobahn fahren möchte. Bin ich dann auf einer, fällt mir wieder ein, warum es AUTObahn heißt und warum ich es schrecklich finde. Pest oder Cholera, einmal mehr.

Türkei oder Iran?

Oft denke ich: Polly hat sich mit dem Iran ein doofes Land ausgesucht, die Türkei wäre besser gewesen. Hier sehe ich viele Hunde, die entspannt und frei leben. Die meisten haben einen Clip am Ohr, der anzeigt, dass sie tierärztlich betreut werden. Für viele Hunde ist das ein Hundeleben im besten Sinne – ganz sicher für alle, denen das Leben auf der Straße im wahrsten Sinne des Wortes im Blut liegt.

Straßenhund mti Clip im Ohr, Kangal

Angesichts der aktuellen Entwicklungen in beiden Ländern wäre es wohl die Entscheidung zwischen Pest und Cholera gewesen: In der Türkei plant Erdogan ein Gesetz gegen Straßenhunde, dem Iran drohen Angriffe aus Israel. Beim Gedanken an Letzteres wird mir schlecht – ich würde am liebsten umdrehen und die Suche nach Polly wieder aufnehmen.

Doch selbst, wenn ich wieder ins Land käme: Wo sollte ich suchen? Hätte sie sich inzwischen irgendwo blicken lassen, hätte ich es erfahren. Außerdem naht der Winter, und meine Antidepressiva reichen auch nicht ewig. Für alles ließe sich eine Lösung finden – wenn eine Suche denn Sinn ergäbe. So bleibe ich mit Menschen, Tierheimen und Tierschutzvereinen zwischen Yazd und Isfahan in Kontakt und hoffe.

 

Idiotische Hoffnung

Manchmal stelle ich mir vor, dass Polly auf dem Weg nach Kiel ist, nach Hause. Ich weiß, es ist Quatsch, einfach absurd, aber ein Teil von mir hofft darauf. Dann google ich Berichte von Hunden, die allein nach Hause gelaufen sind, suche die weiteste zurückgelegte Strecke, recherchiere, wie weit Hunde am Tag laufen können, checke die Entfernung Varzaneh-Kiel und wie lange Polly dafür brauchen würde. Demnach könnte Polly in den kommenden zwei Wochen in Kiel ankommen … Total bekloppt, ich weiß. Und dennoch in mir.

 

Straßenhunde unterwegs

Es ist wohl wenig verwunderlich, dass ich bei jedem Straßenhund anhalte, um ihn eine Runde zu streicheln. Bei den meisten wird schnell klar, dass sie keineswegs verlassen oder vernachlässigt sind. Vielmehr gehören die meisten zu einem Hof, einem Geschäft oder einer Wohnung. Sie stromern tagsüber herum und kehren am Abend zu Futter und Schlafplatz heim. Viele tragen den oben erwähnten Clip im Ohr: Die Tiere werden von Tierärzten beobachtet und betreut, wahrscheinlich sind sie sogar kastriert.

Straßenhunde: Kangal-Welpen werden gestreichelt

Manchmal ist es schwer, diese Racker zurückzulassen – sie sind einfach zu süß. Aber ich weiß, dass es ihnen hier, in ihrer geschützten Freiheit, besser geht als in meinen vier Wänden. Hier leben sie draußen und oft in Gemeinschaft, haben täglich tausend spannende Eindrücke, treffen autonome Entscheidungen und leben in ihrem Rhythmus. Was könnte ich Besseres bieten? Außer Streicheleinheiten wenig. Irgendwo wartet ein Hund in einem Tierheim, dessen Leben ich wirklich besser machen kann.

Falls Polly nicht inzwischen nach Hause gekommen ist 😉