Karpaten 6 – Shit happens

»Du brauchst ein paar mehr Action-Bilder,« hat er gesagt. »Darauf fahren die Abenteuer-Biker immer ab…« hat er gesagt.
 
Ich gebe zu, das ist einer meiner wunden Punkte, für Action-Bilder bin ich zu doof. Oder anders: Es ist nicht mein Metier. Ich will ja von meiner Tour berichten, will zeigen, was ich sehe, und miterleben lassen, was ich erlebe. In den seltensten Fällen sehe ich, wie ich mir auf Josi, natürlich in perfekter Schräglage, entgegenkomme. Oder cool an mir vorbeifahre. Sollte das doch vorkommen, hole ich mir gleich eine zweite Runde Palinka.
 
Im Ernst: Bei Könnern wie Erik Peters & Co. sehen diese Bilder toll aus. Die sind aber auch oft – wie Erik – Photographen. Ich fotografiere, und der Unterschied in der Schreibung bedeutet dabei durchaus etwas. Mein Medium sind Texte. Bis ich mein Mini-Stativ an einer womöglich geeigneten Stelle aufgestellt und ausgerichtet habe, sind drei rumänische Laster und zwei Pferdefuhrwerke vorbeigekommen und haben alles verschoben. Dann komme ich – um fahrend festzustellen, dass der Selbstauslöser nicht funktioniert. Auch nicht beim siebten Mal. Vielleicht beim achten Mal, aber inzwischen hat der Kläffer vom Nachbarhof seinen Wachauftrag erfüllt und jegliches Kamera- und Spionagewerkzeug unschädlich geschlabbert.
 
Außerdem will ich weder achtmal an einer Strecke vorbeifahren (ich reise eh schon langsam, wann sollte ich da je ankommen?!), noch ständig mit suchendem Blick umherfahren, welche Stelle wohl achtmaliges Vorbeifahren wert wäre.
 
Fazit: Action-Bilder von Eva auf Josi wird es vorerst nicht geben. Zumindest nicht, solange ich allein unterwegs bin.
 
 
»Die Bilder mit umgekippter Josie und dem Aufheben ziehen,« hat er auch noch gesagt, »… also bei den Biker-Kerlen.« Und den Anstand gehabt, ein »…pruuust« zu ergänzen.
 
Nun, was tut man nicht alles für die Leserschaft, schließlich sollen alle mühsam gewonnenen Follower dabei bleiben, möglichst das USA-Buch kaufen und zu Vorträgen kommen.
 
Also bin ich gestern rausgefahren und habe einen richtig schön beschissenen, aus einer einzigen Fahrrinne bestehenden Waldweg mit tierischem Gefälle gefunden, der an den Rändern aus losem Sand und Wurzelwerk bestand, während die Fahrrinne Schutt, Wurzeln und feinen Sand enthielt. Das Ganze etwa einen Kilometer lang. Nach drei Vierteln der Strecke hab ich Josi pittoresk abgelegt und Bilder gemacht – alles für die Leserschaft.
»Und daneben dann noch eine lächelnde Eva!« hat er gesagt. Gern hätte ich auch das geliefert. Aber, ihr ahnt es, diese Situation war keineswegs gestellt, geschweige denn geplant.
 
Es war vor drei Tagen, als ich schon mehrere Stunden bei 35 Grad oberhalb des wunderschönen Stausees Lacul Bicaz entlanggefahren bin. Auf einer Straße, die regelmäßig von Baustellen unterbrochen wurde, an denen ich in der prallen Sonne warten musste, um dann durch ebenso große wie feine Staubwolken zu fahren, die mir von den Fahrzeugen vor mir hinterlassen wurden.
 
Kurz und gut: Alles, was ich wollte, war, meinen Luxuskörper in diesem See zu baden.
 
Aber über zwei weitere Stunden kam man einfach nicht runter und ran, alles war Privatgrund. Und das im Osten!!! Irgendwann, ich war sowas von durchgeschwitzt und missgelaunt, entdeckte ich eine kleine Straße in Richtung See. Straße ist eigentlich zu viel gesagt, es war eher eine Gasse – ein SUV hätte nicht hindurch gepasst (wie schade…), nicht einmal breitere PKW. Josi aber schon, also bin dort hineingebogen, mir war alles egal. Schon der Schatten und das Gefälle in dieser Gasse brachten mich zum Lächeln – über ein wömöglich notwendiges Wenden mochte ich nicht nachdenken. Die asphaltierte Gasse führte in ein Waldstück, der Asphalt wurde zu ebenem Waldboden über, mein Lächeln zum Grinsen. Die kühle Luft, der Duft des Waldes, Josi und ich auf Abenteuerkurs abwärts – wunderbar.
 
Dann wurde der Weg rinnenförmig und steiler, sodass ich nur noch in der Mitte über die Steine und Wurzeln schießen konnte. Es hat unfassbar viel Spaß gemacht, aber irgendwann ist Josi, die ja noch mit dem gesamten Gepäck beladen war, weggerutscht. Wie schade! Zu gern hätte ich den Weg nach unten geschafft; dass der nach oben eine ganz andere Nummer war, stand außer Frage.
 
Es folgte das Klassikerprogramm: alles abbauen, was abzubauen ist, den günstigsten Hebel für Aufrichtversuche suchen, fluchen, weil sich über den Lenker außer leichten Bewegungen nichts tut, lächeln (für die Follower), den blöden Spruch »Es ist alles eine Frage der Technik!« verfluchen, zumal für das seitliche Aufrichten (also Lenker und Bügel am hinteren Teil von Josi) eben jener hintere Bügel nicht zur Verfügung steht – da hing der Koffer dran, auf dem Josi nun lag.
 
Erwähnte ich schon, dass es scheißeheiß war und ich komplett durchgeschwitzt? Da bei Josi derzeit eh nix auszurichten war, bin ich also zum See runtergelaufen und eine Runde geschwommen. Das war schon fein.
Und als ich im Anziehen ein Pärchen den Weg hinterkommen sah, war das Schicksal seines männlichen Teils besiegelt: Er würde mir helfen.
 
Lange Rede, kurzer Sinn: Nach der Romantikzeit, die ich den beiden zugestanden habe, hat er mir tatsächlich geholfen. Nachdem ich Josi aufgerichtet war, fuhr ich sie – mit jeder Menge Spaß – den Weg bis zum Ende herunter, wendete am Wasser und fuhr dann so weit wie möglich wieder hoch. Was immerhin die Hälfte der Strecke war. Dann wurde es zu sandig-steil, Josi lag wieder, ich lächelte wieder, der Typ half wieder. Dann hab ich ihn zu seiner Liebsten runtergeschickt, den Rest würde ich ja wohl irgendwie allein schaffen. Der Plan: Josi im ersten Gang nach oben schieben.
Einen ganzen Meter habe ich geschafft, dann rutschte Josi auf dem Boden wieder nach unten – in jeder Bedeutung des Wortes. Nochmal wollte ich die beiden nicht stören, also startete ich zwei halberschöpfte und leider gänzlich vergebliche Aufrichtversuche, bevor ich auf Josi setzte und bräsig-frustriert in den Wald guckte, bis die beiden wieder des Weges kam. Und mit vereinten Kräften haben wir dem Drama dann auch ein Ende gemacht. Am Ende des schwierigen Bodens hab ich die beiden voller Dank verabschiedet und (Armin, Achtung!) eine Frustzigarette geraucht. Die hatte mir ja der nette Tankstellenmann geschenkt.
 
 
Dieses Motorradaufrichten ist ein weiterer wunder Punkt für mich. Alle (Jungs), die jetzt schreien, das sei alles eine Frage der Technik und habe mit Kraft nichts zu tun, können mir gestohlen bleiben. Es sei denn, sie richten eine Maschine mit Josis höherem Schwerpunkt auf, ohne dabei auch nur ansatzweise zu stöhnen oder zu ächzen. Eben, geht nicht. Weil es – neben der Technik – eben doch Kraft kostet. Wovon ihr Jungs in der Regel meist mehr habt als wir Ladys. Und das ist etwas, das mich so richtig ankotzt.
 
Natürlich möchte ich Josi allein aufrichten können, ob mit Ächzen oder ohne. Aber es konnte mir noch keiner zeigen. Hini, selbst du hast sie nur unter Ächzen hochgekriegt! Also: Ich suche die Technik, die wirklich ohne Kraft möglich ist. Wenn diese Winde wieder erhältlich ist, werde ich sie mir zulegen.
 
Mir hat schon mal jemand geschrieben, ich solle gar nicht erst losfahren, wenn ich mein Moped nicht allein aufrichten kann. Aber ganz ehrlich: Das wäre doch bekloppt! Zuhause bleiben, weil es umkippen könnte? Und weil dann vielleicht nicht gleich jemand in der Nähe ist, um zu helfen? Um wieviel Gutes, Schönes und Spannendes würde ich mich selbst bringen?
 
Es wäre, als wollte ich mich nie wieder verlieben, weil unter den Jungs auch mal ein Arschloch sein könnte. Hallo?! Arschlöcher gehören zum Leben, haben manchmal auch ganz nette Aspekte und verblassen vor allem neben all den coolen und witzigen Typen, die diese Welt bevölkern. Und neben meinem Liebsten sowieso.

Karpaten 5 – Verliebt in die Maramures

In einigem bin ich richtig schlecht. Im Zappen, zum Beispiel. Ich nehme mir vor, mal durchzuschauen, was so läuft – und bleibe im Ersten hängen. Ob ich deshalb auch gleich den Maramures, meiner ersten Region in Rumänien, verfallen bin? Vielleicht – aber bestimmt nicht nur. Auch viele Rumänen entdecken das Kleinod in diesem Jahr, in dem Corona ihnen Auslandsreisen verwehrt.
Das erste, was mir in Rumänien auffiel, war die unglaubliche Freundlichkeit der Menschen. Ich muss gestehen, dass ich nicht daran geglaubt hatte, obwohl es mir oft gesagt wurde. Der Weg hierher war eine freundlichkeitstechnische Durststrecke, vor allem durch Tschechien und Ungarn, in der Slowakei ging es schon wieder. Ich finde Pauschalisierungen echt schwierig, aber ich habe mich durch die vollkommen fremden Sprachen auf der einen, und durch die kurz angebundenen Menschen, die kaum Blickkontakt halten und schon gar nicht suchen auf der anderen Seite plus einen Fall von böswilliger Kaffeeverweigerung so einsam gefühlt, dass bei jedem Kind, das meinem Motorrad und mir winkte, mein Herz hüpfte und ich enthusiastisch zurückwinkte. Irgendwann war sogar ich diejenige, die zuerst winkte…
Wahrscheinlich zieht sich nun eine Spur von Eltern durch Tschechien und Ungarn, die ihre Kinder nachdrücklich mit “Du musst keine Angst haben, die verrückte Winkefrau auf dem Motorrad ist jetzt gaaaanz weit weg!”
Und dann komme ich nach Satu Mare, Rumänien, frage einen Menschen nach dem Weg in die Innenstadt und werde von ihm hingebracht. Bitte dort einen Passanten um eine Restaurantempfehlung – und werde wiederum gleich hingebracht Stehe am nächsten Tag irgendwo in der Pampa und überlege, ob ich links oder rechts fahre, als mir ein Hutzelmännchen von 273 Jahren auf die Schulter klopft und mir mit zahnlosem Lächeln und strahlenden Augen zwei Birnen in die Hand drückt. Jedes Mal hätte ich heulen können. Seit einigen Tagen bin ich nun in Rumänien und habe keinen unfreundlichen Menschen getroffen. Manche Klischees sind mehr als das.
Die Maramures sind eine kleine, zur Hälfte gebirgige Region im Nordwesten Rumäniens und ländlich geprägt.

Die D18 über den Gutai-Pass – ein Leckerbissen!

Ländlich geprägt bedeutet hier, dass tatsächlich die Familien das Heu auf den Feldern zusammenrechen, dass die Rasenflächen inner- und außerorts mit der Sense gemäht werden…

… dass immer wieder Pferdefuhrwerke – manchmal mit einem störrischen Kalb im Schlepptau – auf der Straße unterwegs sind, dass Melonen, Pflaumen, Kartoffeln und vieles mehr aus dem eigenen Garten oder aus Gemeinschaften am Straßenrand verkauft werden. Wer Glück hat (ich!), bekommt von Danina und Bogdan ein Glas Palinka, selbstgebrannten Pflaumenschnaps, eingeschenkt aus der 1,5l-Plastikflasche in Uromas Kristallgläschen. Holla, das Zeug brennt!
Aber das Fahren, insbesondere auf kaputten Straßen, geht sehr viel geschmeidiger.
Uroma und Uropa sind feste Bestandteile im Straßenbild, egal, ob noch gut zu Fuß, auf dem Klapperrad (eher er) oder mit Gehhilfe. Manchmal im Garten die Katzen oder sich selbst versonnen in einem alten, hölzernen Handspiegel betrachtend, manchmal mit Oma von nebenan auf der Bank sitzend und plaudernd, manchmal allein auf der Bank und Obst putzend oder Wolle spinnend, als wäre Schneewittchen nicht nur ein Märchen.
Die Bänke gehören zu den Orten wie Straßenschilder und Läden; gerade in kleinen Orten steht vor jedem Haus eine. Bisher habe ich keinen zwei gleichen gesehen, ich vermute also, dass es sich dabei um Privatinitiativen im ursprünglichen Sinne handelt.
Ich glaube, ohne diese Bänke würde die Kommunikation in den Dörfern zusammenbrechen, sie ersetzen Telefon, Radio und Fernseher gleichermaßen. Dabei leben Uroma und Uropa gar nicht so altmodisch, wie man denken mag – sie haben auch schon mal ein Nokia am Ohr. Vielleicht sind sie für die Moderne das, was das Nokia fürs Smartphone ist? Immer wieder belächelt, aber unverwüstlich? Schließlich tragen sie zu Sandalen, Kompressionsstrümpfen, dem dunkel geblümten Rock, der lila geblümten Bluse und dem dunklen Kopftuch eine leuchtend blaue Einwegmaske.
Auf die wunderschönen schlanken Holzkirchen kann ich gar nicht eingehen – das müssen andere tun. Wenn man sie betritt, wird die Seele berührt.

Corona ist auch hier.

Wie zu vermuten, spielt der Glaube, oder vielmehr die verschiedenen Glaubensrichtungen auf dem Land eine größere Rolle als in der Stadt. Einen Morgen verbrachte ich in Sapanta und wunderte mich über die Muezzin-Gesänge. Im Zentrum angekommen begriff ich (und bekam es von einer Einwohnerin bestätigt): Der orthodoxe Gottesdienst wurde wegen Corona per Lautsprecher in die gesamte Stadt übertragen. IN DIE GESAMTE STADT. Und auch das war magisch.
Sapanta ist vor allem für den “Fröhlichen Friedhof” bekannt, wo der Verstorbenen unter liebevoller Nennung ihrer Eigenheiten und Macken gedacht wird.
Ich fand ja viel witziger, dass der Friedhof zwei offene WLAN-Netze hat, eines davon G5 – und beide tot…
Außerdem gibt es ein paar äußerst spannende Malereien: Nimmt Adam etwa selbst einen Apfel? Warum meckert die Schlange nur mit Eva? Und sind das Soldaten, die Jesu Zustand am Kreuz prüfen?
Meine Nächte bleiben weiterhin vielfältig…
… und werden von mehr oder weniger liebsamen wilden Tieren begleitet:
A propos wilde Tiere: Die wilden Hunde von Rumänien waren bisher tatsächlich ein Problem, allerdings anders als vermutet: Am liebsten hätte ich den Fratz mitgenommen, auch wenn er meine besten Socken zerbissen hat.

Der gehörte aber zu der Tankstelle, wo ich die erste Zigarette meiner Tour geschenkt bekam. Das scheint dazuzugehören!
Morgen werde ich die Maramures schweren Herzens verlassen und in die Region Moldau weiterfahren. Wahrscheinlich hat Rumänien mehr zu bieten als „nur” das Erste!
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Josi ist top in Form dank:
– BTB Boxertechnik Berlin GmbH
– Wilbers Performance Suspension