Venedig-Tour 4: Das große Suchen

Vor Venedig

Mit den Alpen lasse ich das trübe Herbstwetter hinter mir; je näher ich Venedig komme, umso schöner wird das Wetter. Eigentlich wollte ich die Stadt ja mystisch in waberndem Nebel erleben, aber ich denke, ich werde mich nicht beschweren.

Wie immer habe ich mich nicht vorbereitet, weiß also nicht, wie weit ich mit Josi komme, wo die Straßen aufhören und die Kanäle beginnen. Überhaupt kann ich mir noch gar nicht vorstellen, dass es tatsächlich gar keine Straßen geben soll. Die Kanäle können doch unmöglich vor jedem Haus entlang fließen, sodass überall Boote festmachen könnten. Wie werden Waren geliefert, wie legen die Venezianer größere Strecken zurück? Klein kann die Fläche, auf der immerhin knapp 52.000 Menschen leben, nicht sein. Und wo werde ich schlafen? Gibt es Wiesen, Parks, dunkle, aber sichere Ecken für mein Zelt? Nun, die Antworten liegen am anderen Ende der bestimmt drei Kilometer langen Brücke, über die ich neben überraschend wenigen Autos, einem Zug und einer Tram vom Festland in die Lagunenstadt fahre.

Angekommen!

Und dort findet tatsächlich alles Motorisierte ein Ende: Zug und Tram fahren zurück, Autos werden in Parkzonen abgestellt oder in eines der Parkhäuser gefahren. Eine Weile suche ich nach einem Plätzchen, auf dem ich Josi samt Zelttasche stehen lassen könnte, gebe aber bald auf und fahre ebenfalls in ein Parkhaus. Das ist mit 15 Euro für 24 Stunden günstiger als befürchtet und außerdem videoüberwacht, sodass ich bis auf eine Tasche alles dort lassen kann.

Sehr schön. Und überhaupt: Es ist trocken, warm, windgeschützt und sicher – bis auf die Kameras hat es also fast alles, was ich an einer Schlafstätte schätze. Ob ich vielleicht neben Josi…? Ich würde schließlich niemanden stören… Ich frage mich durch alle Parkhausangestellteninstanzen – vergebens. Nicht so schön, aber leider logisch, denn sonst würden sich wohl alle Obdachlosen hier einnisten. Gut, es wird sich schon was finden, notfalls krabble ich in ein Boot. Aber jetzt geht es erst einmal los!

Venedig…

Der erste Kanal ist nicht weit – und alles sieht aus wie in Venedig. Verrückt! Kleine Brücken, Wasser, in dem sich der Himmel spiegelt, Boote, die links und rechts befestigt sind, schmale Wege, die an süßen Geschäften vorbeiführen. So schön!

Und doch anders als Bilder, Erzählungen und Vorstellungen von Venedig, denn die Boote sind zugedeckt, die Fahrrinne leer, die meisten Geschäfte geschlossen und die Wege fast menschenleer. Corona verändert die Stadt vollkommen, und ich muss gestehen, dass ich es liebe. Venedig ohne Touristenmassen? Das war vor Corona doch eine Utopie! Nun aber kann ich durch die Gassen schlendern und staunend in alle Richtungen schauen, ohne jemanden anzurempeln. Kann das Telefonat der Italienerin auf der anderen Seite des Kanals belauschen (wobei ich zugebe, dass ihre Stimme wohl auch über Menschenmengen zu mir gedrungen wäre) und höre die klassische Musik aus einem exquisiten Lederwarengeschäft.

Von wegen Orientierungssinn …

Ich bin ohne Stadtplan unterwegs, weil ich angenommen habe, dass mein recht anständig ausgeprägter Orientierungssinn mich schon zum Markusplatz bringen wird – ich muss einmal quer durch die Stadt. Schon bald hat sich diese selbstgefällige Einschätzung erledigt. Weder Bauchgefühl noch Sonnenstand helfen, wenn die Gasse, in die man voller Zuversicht eingebogen ist, eine Kurve macht, an einer Wand endet oder an einem Kanal – ohne weiterführende Brücke. Oder mit einer Brücke, an der gerade gebaut wird. Nun gut, dann also mit Google Maps im Ohr, damit ich weiter schauen und staunen kann. Doch auch hier tauchen unerwartete Schwierigkeiten auf, denn zum einen erkennt einige Tücken Venedigs ebenso wenig wie ich, zum anderen ist das Italienisch dieses Programms einfach grauenhaft. So wird das nichts.
Also gebe ich das Ziel auf und genieße den Weg. Den Hund, der – die Schnauze durch das Balkongitter gesteckt – die Coronaruhe genießt. Die Venezianerin, die ihr Klingelschild poliert. Die Angestellte einer Polsterei, die selbstvergessen an einem Stuhl arbeitet. Und die wenigen Läden, die doch geöffnet haben und zumeist kreative Maskenkollektionen präsentieren. Und könnt ihr glauben, dass ausgerechnet der Mann, den ich wegen seiner Maske fotografiere, Gondoliere im Ruhestand ist? Ist er.

 

 

 

Weil es inzwischen dunkel wird, der Markusplatz offenbar in einem Paralleluniversum liegt, ich wieder zurück zum Parkhaus muss und die Übernachtungsfrage noch ungeklärt ist, drehe ich um. Weil ich zusätzlich auch noch Hunger habe, kommt mir das kleine Restaurant gerade recht, das coronabedingt zwar in 35 Minuten schließt, mir aber fix einen Apérol und Bruschetta bringt. Neben mir sitzen zwei Frauen, die angeregt plaudern – auf deutsch. Ich genieße still meine Bruschetta, bis mir eines aufgeht: Die sehen nicht aus, als würden sie in einem Boot oder in einer Gasse schlafen. Ergo: Mindestens ein Hotel muss noch offen sein! Ich war davon ausgegangen, dass alle geschlossen sind! Ich frage sie, wo sie übernachten – worauf sie zunächst sehr allgemein antworten und dann ihr angeregtes Plaudern einstellen. Hätte ich geheime Dinge erfahren, wenn ich mich nicht als deutschkundig geoutet hätte?

Egal. Da Josi und alles Zubehör im Parkhaus gut aufgehoben sind, buche ich mir für 28 Euro ein Zimmer im Hotel Florida (!). Es stellt sich als Mehrbettzimmer heraus, das ich allein für mich habe – buona notte!

Du willst Einblicke in das echte Venedig? Dann empfehle ich dir den Newsletter „Reskis Republik“ von Petra Reski. Die Journalistin und Autorin lebt in Venedig – hier bekommst du einen Eindruck:

 


Karpaten 6 – Shit happens

»Du brauchst ein paar mehr Action-Bilder,« hat er gesagt. »Darauf fahren die Abenteuer-Biker immer ab…« hat er gesagt.
 
Ich gebe zu, das ist einer meiner wunden Punkte, für Action-Bilder bin ich zu doof. Oder anders: Es ist nicht mein Metier. Ich will ja von meiner Tour berichten, will zeigen, was ich sehe, und miterleben lassen, was ich erlebe. In den seltensten Fällen sehe ich, wie ich mir auf Josi, natürlich in perfekter Schräglage, entgegenkomme. Oder cool an mir vorbeifahre. Sollte das doch vorkommen, hole ich mir gleich eine zweite Runde Palinka.
 
Im Ernst: Bei Könnern wie Erik Peters & Co. sehen diese Bilder toll aus. Die sind aber auch oft – wie Erik – Photographen. Ich fotografiere, und der Unterschied in der Schreibung bedeutet dabei durchaus etwas. Mein Medium sind Texte. Bis ich mein Mini-Stativ an einer womöglich geeigneten Stelle aufgestellt und ausgerichtet habe, sind drei rumänische Laster und zwei Pferdefuhrwerke vorbeigekommen und haben alles verschoben. Dann komme ich – um fahrend festzustellen, dass der Selbstauslöser nicht funktioniert. Auch nicht beim siebten Mal. Vielleicht beim achten Mal, aber inzwischen hat der Kläffer vom Nachbarhof seinen Wachauftrag erfüllt und jegliches Kamera- und Spionagewerkzeug unschädlich geschlabbert.
 
Außerdem will ich weder achtmal an einer Strecke vorbeifahren (ich reise eh schon langsam, wann sollte ich da je ankommen?!), noch ständig mit suchendem Blick umherfahren, welche Stelle wohl achtmaliges Vorbeifahren wert wäre.
 
Fazit: Action-Bilder von Eva auf Josi wird es vorerst nicht geben. Zumindest nicht, solange ich allein unterwegs bin.
 
 
»Die Bilder mit umgekippter Josie und dem Aufheben ziehen,« hat er auch noch gesagt, »… also bei den Biker-Kerlen.« Und den Anstand gehabt, ein »…pruuust« zu ergänzen.
 
Nun, was tut man nicht alles für die Leserschaft, schließlich sollen alle mühsam gewonnenen Follower dabei bleiben, möglichst das USA-Buch kaufen und zu Vorträgen kommen.
 
Also bin ich gestern rausgefahren und habe einen richtig schön beschissenen, aus einer einzigen Fahrrinne bestehenden Waldweg mit tierischem Gefälle gefunden, der an den Rändern aus losem Sand und Wurzelwerk bestand, während die Fahrrinne Schutt, Wurzeln und feinen Sand enthielt. Das Ganze etwa einen Kilometer lang. Nach drei Vierteln der Strecke hab ich Josi pittoresk abgelegt und Bilder gemacht – alles für die Leserschaft.
»Und daneben dann noch eine lächelnde Eva!« hat er gesagt. Gern hätte ich auch das geliefert. Aber, ihr ahnt es, diese Situation war keineswegs gestellt, geschweige denn geplant.
 
Es war vor drei Tagen, als ich schon mehrere Stunden bei 35 Grad oberhalb des wunderschönen Stausees Lacul Bicaz entlanggefahren bin. Auf einer Straße, die regelmäßig von Baustellen unterbrochen wurde, an denen ich in der prallen Sonne warten musste, um dann durch ebenso große wie feine Staubwolken zu fahren, die mir von den Fahrzeugen vor mir hinterlassen wurden.
 
Kurz und gut: Alles, was ich wollte, war, meinen Luxuskörper in diesem See zu baden.
 
Aber über zwei weitere Stunden kam man einfach nicht runter und ran, alles war Privatgrund. Und das im Osten!!! Irgendwann, ich war sowas von durchgeschwitzt und missgelaunt, entdeckte ich eine kleine Straße in Richtung See. Straße ist eigentlich zu viel gesagt, es war eher eine Gasse – ein SUV hätte nicht hindurch gepasst (wie schade…), nicht einmal breitere PKW. Josi aber schon, also bin dort hineingebogen, mir war alles egal. Schon der Schatten und das Gefälle in dieser Gasse brachten mich zum Lächeln – über ein wömöglich notwendiges Wenden mochte ich nicht nachdenken. Die asphaltierte Gasse führte in ein Waldstück, der Asphalt wurde zu ebenem Waldboden über, mein Lächeln zum Grinsen. Die kühle Luft, der Duft des Waldes, Josi und ich auf Abenteuerkurs abwärts – wunderbar.
 
Dann wurde der Weg rinnenförmig und steiler, sodass ich nur noch in der Mitte über die Steine und Wurzeln schießen konnte. Es hat unfassbar viel Spaß gemacht, aber irgendwann ist Josi, die ja noch mit dem gesamten Gepäck beladen war, weggerutscht. Wie schade! Zu gern hätte ich den Weg nach unten geschafft; dass der nach oben eine ganz andere Nummer war, stand außer Frage.
 
Es folgte das Klassikerprogramm: alles abbauen, was abzubauen ist, den günstigsten Hebel für Aufrichtversuche suchen, fluchen, weil sich über den Lenker außer leichten Bewegungen nichts tut, lächeln (für die Follower), den blöden Spruch »Es ist alles eine Frage der Technik!« verfluchen, zumal für das seitliche Aufrichten (also Lenker und Bügel am hinteren Teil von Josi) eben jener hintere Bügel nicht zur Verfügung steht – da hing der Koffer dran, auf dem Josi nun lag.
 
Erwähnte ich schon, dass es scheißeheiß war und ich komplett durchgeschwitzt? Da bei Josi derzeit eh nix auszurichten war, bin ich also zum See runtergelaufen und eine Runde geschwommen. Das war schon fein.
Und als ich im Anziehen ein Pärchen den Weg hinterkommen sah, war das Schicksal seines männlichen Teils besiegelt: Er würde mir helfen.
 
Lange Rede, kurzer Sinn: Nach der Romantikzeit, die ich den beiden zugestanden habe, hat er mir tatsächlich geholfen. Nachdem ich Josi aufgerichtet war, fuhr ich sie – mit jeder Menge Spaß – den Weg bis zum Ende herunter, wendete am Wasser und fuhr dann so weit wie möglich wieder hoch. Was immerhin die Hälfte der Strecke war. Dann wurde es zu sandig-steil, Josi lag wieder, ich lächelte wieder, der Typ half wieder. Dann hab ich ihn zu seiner Liebsten runtergeschickt, den Rest würde ich ja wohl irgendwie allein schaffen. Der Plan: Josi im ersten Gang nach oben schieben.
Einen ganzen Meter habe ich geschafft, dann rutschte Josi auf dem Boden wieder nach unten – in jeder Bedeutung des Wortes. Nochmal wollte ich die beiden nicht stören, also startete ich zwei halberschöpfte und leider gänzlich vergebliche Aufrichtversuche, bevor ich auf Josi setzte und bräsig-frustriert in den Wald guckte, bis die beiden wieder des Weges kam. Und mit vereinten Kräften haben wir dem Drama dann auch ein Ende gemacht. Am Ende des schwierigen Bodens hab ich die beiden voller Dank verabschiedet und (Armin, Achtung!) eine Frustzigarette geraucht. Die hatte mir ja der nette Tankstellenmann geschenkt.
 
 
Dieses Motorradaufrichten ist ein weiterer wunder Punkt für mich. Alle (Jungs), die jetzt schreien, das sei alles eine Frage der Technik und habe mit Kraft nichts zu tun, können mir gestohlen bleiben. Es sei denn, sie richten eine Maschine mit Josis höherem Schwerpunkt auf, ohne dabei auch nur ansatzweise zu stöhnen oder zu ächzen. Eben, geht nicht. Weil es – neben der Technik – eben doch Kraft kostet. Wovon ihr Jungs in der Regel meist mehr habt als wir Ladys. Und das ist etwas, das mich so richtig ankotzt.
 
Natürlich möchte ich Josi allein aufrichten können, ob mit Ächzen oder ohne. Aber es konnte mir noch keiner zeigen. Hini, selbst du hast sie nur unter Ächzen hochgekriegt! Also: Ich suche die Technik, die wirklich ohne Kraft möglich ist. Wenn diese Winde wieder erhältlich ist, werde ich sie mir zulegen.
 
Mir hat schon mal jemand geschrieben, ich solle gar nicht erst losfahren, wenn ich mein Moped nicht allein aufrichten kann. Aber ganz ehrlich: Das wäre doch bekloppt! Zuhause bleiben, weil es umkippen könnte? Und weil dann vielleicht nicht gleich jemand in der Nähe ist, um zu helfen? Um wieviel Gutes, Schönes und Spannendes würde ich mich selbst bringen?
 
Es wäre, als wollte ich mich nie wieder verlieben, weil unter den Jungs auch mal ein Arschloch sein könnte. Hallo?! Arschlöcher gehören zum Leben, haben manchmal auch ganz nette Aspekte und verblassen vor allem neben all den coolen und witzigen Typen, die diese Welt bevölkern. Und neben meinem Liebsten sowieso.