Ich wünschte, es wäre andersherum.

Ich wünschte, Schmerz käme vor Glück, Tod vor Leben, Trauer vor Liebe.

Ich wünschte, es wäre erst schwer, dann leicht.

Ich wünschte, man hätte das Gute vor sich, während man durch das Schwere watet.

Ich wünschte, man träte ins Licht am Ende des Tunnels, bevor man ihn gähnend dunkel vor sich sieht — nicht wissend, ob es das Ende, von dem die anderen immer sprechen, wirklich gibt.

Ich wüsste dann, wofür ich leide — das Beste käme tatsächlich zum Schluss.

Ich will mich gar nicht vor dem Schmerz drücken, ich wünschte nur, ich könnte die Reihenfolge optimieren (ich gebe zu: ich optimiere gern).

Ich will nicht weniger fühlen — nur früher wissen, wofür.

Wir kennen all die unerträglichen Sprüche wie »Keine Liebe ohne Leiden«, »Der Schmerz ist der Preis der Liebe«, »Wer trauert, hat geliebt.«, und sie sind natürlich deshalb so unerträglich, weil sie wahr sind.

Muss Glück endlich sein und muss es ausgerechnet durch einen Schmerz beendet werden, dessen Ende keineswegs sicher ist? Der vielmehr ein Teil von uns bleiben wird? Ich finde, da ist ein Fehler im System.

Keine Sorge, ich weiß um die Lächerlichkeit meiner Gedanken, um ihre Naivität. Dennoch gibt es etwas in mir, das sich trotzig den Trauerschnodder von der Nase wischt und ein wütendes »Aber trotzdem!« in den Boden stampft. Das all die Weisheiten — »Schmerz gehört zum Glück«, »Trauer ist Liebe, die heimatlos geworden ist«, »Willst du eines fühlen, musst du alles fühlen« mit verächtlichem Blick in die Ecke verweist.

Seit einem Jahr versuche ich, mit einem schweren Verlust klarzukommen. Was solche Sätze in mir hervorrufen? Keinen Trost, keine Erleichterung, sondern das sichere Gefühl: »Das mag alles stimmen, doch es gilt für normale Trauer. Meine aber ist so viel größer — kaum jemand ahnt, wie viel Kraft es kostet, mit ihr zu leben.«

Doch wenn wir weder die Reihenfolge ändern noch das eine ohne das andere haben können und wir zugleich den Schmerz nicht ertragen — welche Möglichkeiten bleiben? Wohl nur eine: auf alles Gute zu verzichten. Nicht zu lieben, um sich die Trauer zu ersparen.

Gerade erzählte mir jemand, dass ihn Verlustangst überkomme, sobald er sich verliebe. Diese Angst sei so überwältigend, dass er überlege, sich nicht mehr zu verlieben.

Intuitiv ist (nur mir?) klar: Diese Lösung ist keine — weil ein solches Leben keines wäre. Ohne Liebe zu leben ist ein hoher Preis für Angstfreiheit. Und ohne Polly, die ich verloren habe, wäre mein Leben nicht mein Leben. So vieles hätte ich ohne sie nicht gelernt, gefühlt, genossen.

Also begleite ich meine heimatlos gewordene Liebe noch ein bisschen durch diese Welt — irgendwo wird sie eine neue Heimat finden. Hoffentlich. Damit würde dann auch endlich mal das Schöne das Schwere beenden.


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