Seid herzlich gegrüßt aus dem Westen Irans!
Ich bin auf dem Weg von Hamedan nach Susa, einer der ältesten durchgehend besiedelten Städte der Welt. Wer in Geographie gut aufgepasst hat oder gleich auf eine Landkarte geschaut hat, weiß, dass der Titel dieses Beitrags und der erste Satz so gar nicht zusammenpassen. Aber weil das Reisen so viel schneller geht als das Schreiben, kommt hier ein kleiner Rückblick auf diesen tollen Abschnitt meiner Iran-Etappe.
Weil ich das Kaspische Meer so nördlich wie möglich erreichen will, komme ich in den Genuss dieser malerischen Strecke – kilometerweit fährt man an der Grenze zu Aserbaidschan entlang. Wie fürsorglich, dass vor den Stracheldraht noch eine Leitplanke gesetzt wurde 🙂
Bevor ich jedoch das Kaspische Meer erreiche, übernachte ich in Astara – Zeit genug also, um hier etwas Klugscheißerwissen einfließen zu lassen:
Übrigens – Das Kaspische Meer
… ist gar kein Meer, sondern ein See, da es keinen direkten offenen Austausch mit einem Ozean hat (ja, auch das Tote Meer ist deshalb ein See). Seen sind reine Binnengewässer, die nur über den Wasserkreislauf, also Verdunstung und Niederschlag, mit den Ozeanen verknüpft sind.
Der Kaspisee, wie er auch liebevoll genannt wird, ist der größte See der Erde. Sein Name kommt vom Stamm der Kaspier, die am Südwestufer des Kaspischen Kaukasus (im heutigen Aserbaidschan) gelebt haben. Und weil über die Jahrtausende so viele Völker an ihm siedelten, hatte er über 70 verschiedene Namen, zum Beispiel “Weißes Meer” in Abgrenzung zum “Blauen Meer”, dem Aralsee.
Sterne-Nächte in Astara
Eigentlich will ich am Wasser übernachten, finde aber keine geeigneten Platz. Auch landeinwärts nicht – hier verirre ich mich sogar zu einer Mülldeponie, in deren Bergen etwa eine Handvoll Menschen gebückt umherlaufen. Offenbar suchen sie nach irgendetwas von Wert, doch was könnte das sein? Auch auf den Straßen sind mir Menschen aufgefallen, die leere Plastikflaschen einsammeln. Da ich mir nicht vorstellen kann, dass es hier ein Pfandsystem gibt (auch die Unmengen herumliegender Plastikflaschen und Dosen sprechen dagegen), muss es eine spezielle Art der Verwertung geben – ich nehme die Klärung dieser Frage als Hausaufgabe mit.
Nach der Deponie gebe ich die Suche nach einem wilden Schlafplatz auf und halte an einer Hotel-Leuchtreklame. Ja, ich könnte ein Zimmer haben, müsste Polly aber an einen Laternenpfahl an der Straße übernachten lassen. Nix da. Auf meine Frage nach einem anderen Hotel nickt der junge Mann und eskortiert mich mit seiner Familie zum Hotel Espinas – offenbar kennt er den Manager. Und was soll ich sagen: Hier kann man es aushalten!
Weil es inzwischen nach acht ist, ist mir der Zimmerpreis egal. Polly bekommt einen ruhigen Platz im Hof und richtet sich zwischen ihrer Matte, Kuscheldecke, Wasser und Futter auch sofort ein.
Mein Gepäck wird stilgerecht auf dem Gepäckwagen nach oben gebracht; den Gedanken, dass es zu dreckig dafür ist, schiebe ich beiseite. Außerdem muss ich über die weiten, grünen, in Quadrate unterteilten Flächen staunen, die ich draußen erblicke. Zwischen dem Grün glitzert es immer wieder wie Wasser, und vereinzelt sind auch hier gebückte Menschen zu sehen. Sind das etwa Reisfelder? Habe ich mich verfahren und bin in Vietnam gelandet? Kann eigentlich nicht sein, schließlich läuft John Miles’ Music leise als Fahrstuhlmusik. Obwohl das auch für den Iran ungewöhnlich ist bzw. ein kleines Zeichen für die westliche Orientierung in wohlhabenderen Kreisen.
Am Abend lese ich nach: Der Norden des Irans ist von Reis- und Teeanbau gesprägt. 80 Prozent des nationalen Reisverbrauchs werden durch die Anbauten zwischen dem Kaspischen Meer und dem Elburs-Gebirge gedeckt. Vor allem wird köstlicher Basmati-Reis angebaut.
Übrigens – Beten im Alltag
In der Schublade des Hotelzimmers liegt in islamischen Ländern natürlich keine Gideon-Bibel, stattdessen ein Koran, ein Gebetsteppich und, hübsch eingewickelt, der sogenannte muhr. Oft wird er als Gebetsstein bezeichnet, aber es handelt sich um gepressten Lehm. Bei der Niederwerfung soll der Betende Erde berühren. Ist das nicht möglich, weil er z.B. in einem Innenraum betet, ersetzt der muhr die eigentliche Erde.
Deshalb findet man in vielen Moscheen, aber auch in Restaurants, einen Vorrat, aus dem man sich bedienen kann, wenn die Gebetszeit naht. Manchmal wird der muhr wegen des Abdrucks, den er auf der Stirn hinterlässt, übrigens auch Gebetsstempel genannt.
Und woher weiß der Gläubige in den Weiten des islamischen Verbreitungsraums, wo Mekka gerade ist? Zum einen gibt es in Hotelzimmern und öffentlichen Gebäuden hilfreiche Zeichen und mehr oder weniger dekorative Pfeile. In meinem ersten Hotelzimmer habe ich mich über den seltsamen Notausgang gewundert, den ich wegen des roten Pfeils in einer Ecke der Zimmerdecke gesucht habe. Aber es geht auch ästhetischer:
Natürlich gibt es im Smartphone-Zeitalter auch technische Abhilfe: den Qibla-Kompass. Die App verwendet den aktuellen Standort, um per GPS die Richtung zu finden, in der sich die Qibla (= die Kaaba im saudi-arabischen Mekka) befindet.
Schon auf meiner USA-Tour habe ich gemerkt, dass ich regelmäßig ruhige Tage ohne viele Eindrücke brauche, um innerlich fit zu bleiben. Das geht hier natürlich gut, zumal Polly am See hinter dem Hotel toben kann. Nach zwei Nächten reicht es aber, schließlich habe ich noch das ganze Land vor mir!
Bevor ich allerdings abreise, werde ich um einen Eintrag ins Gästebuch gebeten. Den Versuch, das Datum in persischen Ziffern zu schreiben, gebe ich schnell auf, immerhin das Format bekomme ich hin:
Am Strand
Die kommenden Nächte verbringe ich am Strand. Beim Bad im Kaspischen Meer merke ich, was ich an der Ostsee habe: erfrischende Kälte, einen Salzgehalt, der den Namen verdient (1,2 statt ca. 2,0 Prozent) – und natürlich vor allem die Freiheit, auch als Frau jederzeit und überall in Badekleidung abzutauchen. Im Iran gibt es spezielle Strandabschnitte und Zeiten, in denen Frauen baden dürfen, und natürlich sind diese nicht ebenso ausgedehnt wie die der Männer.
Am Morgen meiner ersten Strandnacht beobachte ich diese Frau, die über eine halbe Stunde im Wasser ist:
Und auch das sieht man natürlich:
Meine Nächte hab ich entweder unter der Plane oder im Zelt verbracht …
Sobald iranische Familien am Strand sind, werde ich mit Obst, Brot oder gegrillten Leckerein beschenkt. Doch nicht etwa, weil ich mich selbst nicht versorgen könnte und entsprechend abgemagert wäre – ich koche mir sogar regelmäßig etwas:
… sondern weil Teilen einfach iranisch ist. Was man hat, bietet man an.
Nach ein paar Tagen verlasse ich das Kaspische Meer und wende mich nach Süden, um durch das Elbrus-Gebirge nach Teheran zu fahren. Ich nehme meine Bewunderung für die Flora und Fauna dieses Landstriches mit. So habe ich zum Beispiel die Bekanntschaft eines richtig biestigen Käfers gemacht – hört genau hin!
Nachhaltige Freude haben mir sowohl diese fiese Mischung aus Klette und Virus bereitet (vor allem in Pollys Fell!) …
… wie auch die Viecher, denen ich diesen Look zu verdanken habe:
Ich habe nicht herausgefunden, ob es Mücken oder Strandflöhe waren – in jedem Fall waren sie hochgradig hinterhältig.
Im nächsten Bericht erzähle ich von unvergesslichen Tagen und magischen Nächten im Elbrus-Gebirge – bis dann!