Polly liegend

Loslassen

Ihr lieben DaumendrückerInnen und inneren PollysuchbegleiterInnen,

bitte entschuldigt die lange Pause seit der letzten Info. Es waren schwere Tage und Woche: voller Hoffen und dem Versuch, realistisch zu bleiben, voller neuer Suchideen, voller unerwarteter Widrigkeiten und überraschender Unterstützungenvoller kleiner und großer Momente des Loslassens – kurz, ein einziges Wechselbad der Gefühle mit dem Ausgang, den ich am meisten gefürchtet habe. Wir haben Polly nicht gefunden.

Über einen Monat haben wir nun nach Polly gesucht, jetzt heißt es Aufgeben. Nächste Woche läuft mein Visum aus, morgen mache ich mich auf den Weg zur 1.200 km entfernten Grenze.

Natürlich habe ich mich immer wieder gefragt, ob sie vielleicht einfach weg von mir wollte – doch nichts hat darauf hingedeutet. Unsere Verbindung war wie immer, sie ist von überall zurückgekommen zu mir, wir haben sogar mehrfach unter freiem Himmel übernachtet, ohne dass sie angeleint war. Und sie war morgens noch da.

War es also einfach eine blöde Kombination aus Schreck, Vollmondeinfluss und beginnender Läufigkeit? Ich werde es nie erfahren, und das ist schwer auszuhalten. Ebenso wie die Tatsache, dass sie nach ihrem Auftauchen nicht mehr aufzufinden war. Hat jemand sie zu sich genommen? Hat sie sich einem Schäfer und seiner Herde angeschlossen? Oder stromert sie einfach zufrieden als Straßenhund durch den Ort? All das ist möglich, sogar wahrscheinlich.

Ich weiß, dass ich und die Menschen, die mich unterstützt haben, alles versucht haben. Ich war so oft und so lange am Trennungsort, wie es irgend möglich war, habe die erste Woche sogar dort übernachtet. Verschiedene Tierschützer und Fährtenleser haben geholfen, wir haben weite Gebiete abgesucht, z.T. sogar mit einer Drohne, ich habe eine hohe Belohnung ausgesetzt. Alles vergeblich, so unwirklich es scheint.

Wie geht es weiter?
Nun, Polly wird ihr neues Leben leben – hoffentlich zufrieden von der Nasen- bis zur Rutenspitze. Aber es wissen auch viele sehr Menschen, dass sie zu mir gehört, die Belohnung wartet weiterhin. Die Tierärzte in der Umgebung haben ihre Transpondernummer, und sie ist in verschiedenen Datenbanken für vermisste Hunde. Es besteht also zumindest noch eine theoretische Möglichkeit, dass ich meine innen und außen wunderschöne Polly wiedersehe.

Ich selbst werde über die Türkei langsam in Richtung Heimat fahren. Mir fehlt die mentale Energie, die Reise fortzusetzen, ich bin leer, müde und traurig. Außerdem würde ich bei jeder Wiese – gerade in den Weiten der -istan-Staaten – denken: Da sollte sie jetzt eigentlich drüberflitzen … Das schaffe ich nicht.

Mir graut davor, mit dem leerem Beiwagen zu fahren – das ganze Gespann ist ja nur gebaut worden, damit sie mitfahren kann. So oft bin ich gefragt worden: “Reist du allein?!” und meine Antwort war immer: “Nein, mit Polly.” Die Frage wird wieder kommen, alleinreisende Frauen können ihr nicht entkommen. Ich hasse die Antwort. In meiner Studienstadt Göttingen sah ich öfter eine Frau, die einen leeren Kinderwagen vor sich herschob. Ich hab Angst, dass es sich morgen ähnlich schrecklich anfühlen wird.

Ihr Lieben, ich danke euch von Herzen für eure Begleitung und Unterstützung, für eure guten mutmachen und tröstenden Worte! Danke, dass ihr so herzlich Anteil genommen habt – es bedeutet mir sehr, sehr viel.


Polly versucht, über Mauer zu schauen

Nichts Neues von Polly

Ihr Lieben, wie gern hätte ich ein schönes Foto von Polly und mir gepostet, aber es gibt noch keine Neuigkeiten.

Auf der Suche

Vor elf Tagen wurde sie gefilmt, wie sie eine Straße entlang lief, am Tag danach haben wir sie noch einmal fast an der gleichen Stelle gesehen, aber übereifrige Jugendliche sind ihr auf Motorrollern gefolgt und haben sie verjagt.

Der Ort, an dem wir sie gesehen haben, liegt am Rand einer kleinen Stadt, knapp 36 Kilometer von der Stelle entfernt, an der Polly weggelaufen ist. Dort habe ich die erste Woche nach ihrem Verschwinden Tag und Nacht verbracht, vergebens. Dann bin ich aus Sicherheitsgründen in ein Hostel in der Stadt gegangen und täglich rausgefahren, habe Duftmarken gesetzt, gerufen, gehofft. Bis meine Dicke dann in der Stadt auftauchte. Ob sie meinem Geruch oder Mollys Motorgeräuschen gefolgt ist, weiß ich nicht – aber natürlich war ich mächtig stolz auf sie, weil sie dorthin gefunden hatte.

Dass sie jetzt in der Stadt ist, beruhigt mich: Hier gibt es genug zu Essen und zu Trinken, und langweilig wird es für sie auch nicht. Aber es gibt hier natürlich keinen Ort, an dem wir gemeinsam waren und an dem wir uns wiederfinden könnten.

Meine Straßenmotte

Inzwischen stellt sich auch die Frage, ob ihr das freie Leben vielleicht so gut gefällt, dass sie es nicht mehr aufgeben will. Ich mache mir keine Sorgen um sie – Polly ist clever, hat sich schon immer viel frei bewegt und überhaupt melden sich vielleicht ihre rumänischen Straßenhundgene. In der Stadt gibt es nicht wenige Straßenhunde, sie werden geduldet. Es würde ihr also nicht schlecht gehen.

Reines Glück

Aber ich hätte sie so gern zurück. Seit dreieinhalb Jahren galt mein erster Blick des Tages ihr – gefolgt von einem Lächeln, weil sie einerseits so unfassbar süß ist, und weil sie immer länger schläft als ich.

Ihr liebes, freches Gesicht lässt mich immer wieder schmelzen; ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal schlechte Laune hatte. Nie hätte ich gedacht, dass ein Hund ein Leben so viel heller machen kann.

Unterwegs

Und jetzt auf Reisen? Gab es natürlich anstrengende Momente – für uns beide. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie es genießt, den Fahrtwind zu spüren und bei den stündlichen Stopps Neues zu entdecken, meist frei, ohne Leine.

Die letzten gemeinsamen Tage haben einiges von uns gefordert. Mir hat die Hitze zu schaffen gemacht, ihr die schlechten Straßen. Man muss sie gesehen haben, allein mit “viele Schlaglöcher” ist kein angemessenes Bild möglich. Es war dann auch Bremsung wegen eines Kiesbetts, die Polly zum Rausspringen – und Weglaufen – veranlasst hat. Hatte sie die Nase voll von diesen Straßenverhältnissen? Ich würde ihr so gern sagen, dass wir damit die schlimmste Phase hinter uns haben, dass es jetzt wieder besser und schöner wird.

Und nun?

Ich kann noch etwa zwölf Tage hierbleiben – und hoffe aus tiefster Seele, dass wir in dieser Zeit zusammenfinden.