Ihr Lieben, wie gern hätte ich ein schönes Foto von Polly und mir gepostet, aber es gibt noch keine Neuigkeiten.
Auf der Suche
Vor elf Tagen wurde sie gefilmt, wie sie eine Straße entlang lief, am Tag danach haben wir sie noch einmal fast an der gleichen Stelle gesehen, aber übereifrige Jugendliche sind ihr auf Motorrollern gefolgt und haben sie verjagt.
Der Ort, an dem wir sie gesehen haben, liegt am Rand einer kleinen Stadt, knapp 36 Kilometer von der Stelle entfernt, an der Polly weggelaufen ist. Dort habe ich die erste Woche nach ihrem Verschwinden Tag und Nacht verbracht, vergebens. Dann bin ich aus Sicherheitsgründen in ein Hostel in der Stadt gegangen und täglich rausgefahren, habe Duftmarken gesetzt, gerufen, gehofft. Bis meine Dicke dann in der Stadt auftauchte. Ob sie meinem Geruch oder Mollys Motorgeräuschen gefolgt ist, weiß ich nicht – aber natürlich war ich mächtig stolz auf sie, weil sie dorthin gefunden hatte.
Dass sie jetzt in der Stadt ist, beruhigt mich: Hier gibt es genug zu Essen und zu Trinken, und langweilig wird es für sie auch nicht. Aber es gibt hier natürlich keinen Ort, an dem wir gemeinsam waren und an dem wir uns wiederfinden könnten.
Meine Straßenmotte
Inzwischen stellt sich auch die Frage, ob ihr das freie Leben vielleicht so gut gefällt, dass sie es nicht mehr aufgeben will. Ich mache mir keine Sorgen um sie – Polly ist clever, hat sich schon immer viel frei bewegt und überhaupt melden sich vielleicht ihre rumänischen Straßenhundgene. In der Stadt gibt es nicht wenige Straßenhunde, sie werden geduldet. Es würde ihr also nicht schlecht gehen.
Reines Glück
Aber ich hätte sie so gern zurück. Seit dreieinhalb Jahren galt mein erster Blick des Tages ihr – gefolgt von einem Lächeln, weil sie einerseits so unfassbar süß ist, und weil sie immer länger schläft als ich.
Ihr liebes, freches Gesicht lässt mich immer wieder schmelzen; ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal schlechte Laune hatte. Nie hätte ich gedacht, dass ein Hund ein Leben so viel heller machen kann.
Unterwegs
Und jetzt auf Reisen? Gab es natürlich anstrengende Momente – für uns beide. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie es genießt, den Fahrtwind zu spüren und bei den stündlichen Stopps Neues zu entdecken, meist frei, ohne Leine.
Die letzten gemeinsamen Tage haben einiges von uns gefordert. Mir hat die Hitze zu schaffen gemacht, ihr die schlechten Straßen. Man muss sie gesehen haben, allein mit “viele Schlaglöcher” ist kein angemessenes Bild möglich. Es war dann auch Bremsung wegen eines Kiesbetts, die Polly zum Rausspringen – und Weglaufen – veranlasst hat. Hatte sie die Nase voll von diesen Straßenverhältnissen? Ich würde ihr so gern sagen, dass wir damit die schlimmste Phase hinter uns haben, dass es jetzt wieder besser und schöner wird.
Und nun?
Ich kann noch etwa zwölf Tage hierbleiben – und hoffe aus tiefster Seele, dass wir in dieser Zeit zusammenfinden.
„Waaaaas? Du willst mit deinem Hund in den Iran? Bist du verrückt, da sind Hunde unrein!“ Wie oft habe ich diesen und ähnliche Sätze bei der Vorbereitung meiner Reise gehört – doch nie wusste die entsetzte Person, was dieses “unrein” eigentlich bedeutet und welche Konsequenzen es hat. Ich übrigens auch nicht, sonst hätte ich geantwortet: „Ja, genau wie Straßenschuhe und Blut.“ Aber was bedeutet es nun und wie wirkt sich die Unreinheit aus?
Ganz einfach: Wer unreine Dinge berührt, ist nicht rein fürs Gebet und den Moscheebesuch, er muss sich waschen oder ggf. umziehen. Kommen Gegenstände mit unreinen Wesen oder Substanzen in Berührung (z.B. ein Teller, den ein Hund abgeschleckt hat), müssen sie rituell gereinigt werden. Hunde kommen deshalb auch kaum ins Haus oder in die Wohnung. Das ist der ganze Zauber.
1. (Un-)Reinheit von Hunden im Islam
Der Koran verbietet Hunde nicht, äußert sich auch nicht zu dessen (Un-)Reinheit. Bis auf eine kurze Geschichte, in der ein Hund Menschen hilft, kommen Hunde im Koran überhaupt nicht vor. In mehreren Legenden aus dem islamischen Raum wird eine gute Tat gegenüber Hunden sogar mit Sündenerlass und dem Eintritt ins Paradies belohnt.
Da alles, was der Koran nicht regelt, von Menschen entschieden werden muss, ist klar: Die negative Haltung des Islam gegenüber Hunden ist also aus Vorgaben (sog. Fatwas) von Schriftgelehrten entstanden.
Was die (Un-)Reinheit von Hunden angeht, vertreten muslimische Rechtsgelehrte und muslimische Ausrichtungen unterschiedliche Meinungen:
bei manchen gelten Hunde und ihr Speichel als rein – auch im nassen Zustand
bei anderen gelten Hunde an sich als rein, der Speichel jedoch ist unrein
bei den meisten gelten Hunde (und ihr Speichel) generell als unrein – egal, ob nass oder trocken
Zum Besitz von Hunden: Ein Hund darf dann angeschafft werden, wenn er eine konkrete Aufgabe erfüllen soll, er also als Jagdhund, Hütehund, Ackerhund oder Wachhund eingesetzt wird. Auch Polizei- und Drogenhunde, Therapie- und Blindenhunde werden inzwischen akzeptiert. Doch auch mit einer speziellen Aufgabe gelten Hunde als unrein.
Warum es ein Unterschied ist, ob ein Hund trocken oder nass ist, konnte ich nicht herausfinden.
Hier gibt es noch ein paar weitere spannende Aspekte:
Katzen sind übrigens voll toll und nicht unrein – der Prophet Mohammad mochte Katzen und es gibt zahlreiche Legenden, in denen Katzen Menschen vor Gefahren schützen und Leben retten.
2. Hunde-Gesetze in der Türkei und im Iran
Im Iran sind Hunde als Haustiere verboten, öffentliches Gassigehen oder Spazieren mit Hund “zum Schutz der Öffentlichkeit” ebenso. Das Argument gegen Haustierhaltung: Das Zusammenleben von Menschen mit domestizierten Tieren sei ein „zerstörerisches gesellschaftliches Problem, das die iranische und islamische Lebensweise allmählich verändern“, würde indem es „menschliche und familiäre Beziehungen durch Gefühle und emotionale Beziehungen zu Tieren ersetzt“. Hunde seien ein Symbol der “Verwestlichung”.
Wer mit einem Haustier (Vögel und Fische sind noch geduldet) erwischt wird, muss mit Gefängnisstrafen und Auspeitschung rechnen. Trotzdem sieht man vor allem in den Städten meist kleinere Hunde, die als Haustiere gehalten werden. Vielleicht werden die kleineren Rassen gewählt, weil man sie schnell mal in einer großen Tasche oder unter dem Tschador verstecken kann? In den Abendstunden treffen sich Hundehalter jedenfalls am Stadtrand oder an ruhigen Strandabschnitten.
In der Türkei sind Hunde als Haustiere erlaubt. Als Problem werden die rund vier Millionen Straßenhunde gesehen. Die meisten von ihnen sind harmlos, einige aber eben nicht. Und genau wegen dieser hat die türkische Regierung nun einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, nachdem die Straßenhunde eingefangen und in Tierheimen untergebracht werden sollen. Dort sollen sie kastriert und sterilisiert werden. Von dort können sie dann adoptiert werden. Kranke und gefährliche Hunde sollen eingeschläfert werden. Tierschützer befürchten, dass auch gesunde Hunde getötet werden.
3. Hunde im islamischen Alltag
Wie muslimische Menschen auf Hunde reagieren, hängt, soweit ich das beurteilen kann, von zwei Faktoren ab: dem Grad ihrer Gläubigkeit und ihrer Erfahrung mit Hunden. Es gibt Menschen, die neugierig und entzückt auf Hunde zugehen und sie streicheln wollen (und damit Unreinheit in Kauf nehmen, wenn sie denn überhaupt so relidiös sind, darüber nachzudenken), und es gibt Menschen, die vor Angst die Straßenseite wechseln. Wieder andere machen den sprichwörtlichen großen Bogen. Ob dies aus Angst vor dem Hund geschieht oder weil sie eine Berührung mit ihm und damit Unreinheit vermeiden wollen, ist schwer zu sagen.
Vielen Menschen fehlen positive, direkte Erfahrungen mit Hunden, weshalb sie lieber auf Abstand bleiben und deshalb wiederum keine positiven, direkten Erfahrungen machen können. Gerade auf dem Land wird diese Angst oft in einem Steinwurf auf den Hund deutlich. Dass es unsachgemäße Haltung auf Höfen etc. gibt ist ebenso unbestritten wie die Tatsache, dass viele (nicht alle!) Straßenhunde unter elenden Bedingungen leben. Tierheime versuchen, hier zu helfen.
In den Ländern, die auf meiner Reise noch vor mir liegen (vor allem die -istan-Staaten), werden Hunde wohl eher als Nutztiere außerhalb von Wohnung und Haus vorkommen.
Unterwegs mit Polly
Bisher haben Polly und ich an muslimischen Ländern nur die Türkei und den Iran bereist – mit vier bzw. neun Wochen Aufenthalt habe ich aber zumindest einen Eindruck vom dortigen Umgang mit Hunden.
Es war von Anfang an klar, dass Polly nicht mit mir in einem Hostel- oder Hotelzimmer schlafen darf. Bei den paar Malen, die ich innerhalb von vier Wänden übernachten musste, wurde aber immer kreativ nach einer Lösung gesucht, sodass sie in Hör- oder sogar Sichtweite war. Und einmal durfte sie tatsächlich mit rein, das war natürlich der Knaller.
In manche Restaurants darf sie rein, in andere nicht – das hängt dann einfach von der Hundeliebe des Besitzers ab.
Oft kommen Menschen auf Polly zu, wollen sie streicheln oder ein Selfie mit ihr. Ansonsten versuchen wir, uns rücksichtsvoll, also mit genügend Abstand zu Menschen, durch die Orte zu bewegen. Dass sie nicht in Moscheen darf, versteht sich von selbst – in eine Kirche würde ich sie ja auch nicht mitnehmen.
Die Suche nach Polly
Polly ist jetzt seit knapp zwei Wochen weg – und die Hilfe der Iraner ist überwältigend. Ich glaube nicht, dass sich in Deutschland eine derartige Dynamik entwickelt hätte. Gefühlt weiß jeder Mensche vor Ort, dass Polly gesucht wird – und sucht mit. Auf drei lokalen Plattformen wurden (unabhängig von mir!) Inserate mit Fotos und Beschreibungen von Polly geschaltet. Fremde Menschen zeigen mir ihr Handy, auf dessen Display mir Polly entgegenblickt. Suchtrupps organisieren sich, und aus verschiedenen Landesteilen kommen Tierschützer, um mitzusuchen. Ein Team ist 700 km angereist!
Unabhängig davon, ob wir Polly finden oder nicht, wird dies eine meiner prägenden Erinnerungen an den Iran bleiben.
Fazit: Ja, Hunde gelten im Islam als unrein. Aber das ist nicht das Ende der Geschichte.