So manches Mal habe ich mich in den letzten Wochen an das Kaspische Meer zurückgesehnt. Ich war bei Temperaturen bis weit über 40 Grad unterwegs, und mir war vorher nicht klar, wie sich das anfühlt. Wie gut, dass ich an so traumhaften Orten übernachten konnte!
Überhaupt hat sich die Mühe gelohnt, denn ich habe Orte besucht, an denen Alexander der Große Spuren hinterlassen hat.
Der Löwe von Ekbatana
Hamadan (auch: Hamedan) ist eine der ältesten Städte Irans. Als Alexander sie 330 v. Chr. erreichte, hieß sie Ekbatana. Hier beendete er offziell seinen jahrelangen Rachefeldzug gegen die Perser und ließ ein Tage währendes Fest ausrichten. Im Verlauf dieser Tage starb sein Kindheitsfreund, Vertrauter und Mitregent Hephaistion. Alexander war untröstlich und ließ ihm zu Ehren eine 3,5 Meter lange Löwenstatue aufstellen.
Ich finde ja, der Löwe hat eine ziemlich eigenartige Position – so richtig liegend sieht er nicht aus. Es gibt die Theorie, dass er ursprünglich gesessen hat, aber wer weiß das schon. Das gute Stück hat über die Jahrtausende ziemlich gelitten, unzählige Kinder dürften auf ihm herumgetobt sein, bevor er auf einen höheren Sockel gesetzt wurde. Auch das Wetter wird dem Sandstein zugesetzt haben und die schöne Löwenmähne geglättet haben.
Erstaunlich ist, wie traurig der Löwe in die Welt und auf seine Betrachter schaut – mich zumindest berührt sein Blick sehr. Ist das Projektion oder ist da was dran? Und wenn ja: Wieviel intensiver muss seine Wirkung vor 2.300 Jahren gewesen sein??
Susa
450 Kilometer südlich von Hamadan liegt Susa, eine der Königsresidenzen des Perserreichs. Der Weg dorthin führt vorbei an Weizenfeldern, die in Sandhügel übergehen – die Landschaft ist sanft, unaufgeregt, wohltuend. Polly lässt sich den warmen Wind um die Nase wehen, während ich immer mal wieder ihren Kopf kraule; ich liebe es, dass ich das während der Fahrt tun kann.
Susa gilt als eine der ältesten Kulturstätten der Menschheit: Über 5.000 Jahre lang – vom 4. Jahrtausend v. Chr. bis zum sogenannten Mongolensturm war es durchgängig besiedelt.
Die Anlage
Ins Museum darf meine Dicke natürlich nicht, aber mir ist auch gar nicht danach, allein irgendwelche Sachen anzuschauen. Also machen wir uns – inzwischen ist es richtig heiß – auf den Weg zur ausgegrabenen Palastanlage, dem Apadana (bezieht sich eigentlich auf die große Empfangshalle, der Name wurde aber auf den ganzen Komplex übertragen). Das Gelände ist weitläufig, wir sind allein, und vor uns liegt ein riesiges Labyrinth aus hüfthohen, teils originalen, teils rekonstruierten Lehmmauern. Eigentlich ist es eine Mischung aus Lehm und Stroh, und ich kann nicht fassen, das zwei so fragile Materialien Jahrtausende überdauern.
Die Palastanlage ist so riesig, dass ich sie nicht auf ein Bild bekomme. Dafür ahne ich, wie das Gewusel in den verwinkelten Gängen und Räumen gewesen sein könnte. Und so schlicht die Mauern auch erscheinen, so opulent war die Ausstattung des Palasts: Zedernholz aus dem Libanon, Gold aus Baktrien, dem heutigen Afghanistan – das Material für die 72 Säulen der großen Halle gab es zum Glück um die Ecke. Sie war so grandios, dass sie dem Apadana in Persepolis als Vorbild diente.
Das Schloss bzw. die Burg, die auf Bildern von Susa manchmal zu sehen ist, stammt übrigens aus dem 19. Jahrhundert. Französische Archäologen bauten sie, um während der Grabungen angemessen zu logieren.
Die Massenhochzeit von Susa
Während des jahrelangen Feldzugs war Alexanders Faszination für die persische Kultur gewachsen. Er hatte das riesige Reich erobert, war bis Indien gelangt. Doch er wollte nicht unterdrücken, er wollte das makedonische und das neu eroberte, riesige persische Reich verbinden. Das, was Königshäuser seit jeher tun, nämlich strategisch heiraten, musste natürlich etwas größer ausfallen, wenn man wie Alexander zwei Reiche langfristig miteinander verbinden wollte. Also heirateten er und etwa 80 seiner Generäle 324 v. Chr. in einer fünftägigen Zeremonie Perserinnen aus den vornehmsten Familien des Reiches. Außerdem legitimierte Alexander mehrere tausend (!) Verbindungen, die seine Soldaten auf den Feldzügen eingegangen waren, und schenkte allen eine Mitgift.
Im Übrigen fand es keiner der 80 Bräutigamme seltsam, dass ihnen ihre Bräute zugeteilt wurden – nur, dass die Hochzeiten nach persischem Zeremoniell durchgeführt wurden, ließ so manchen Makedonier grummeln.
Während ich staunend umherlaufe, macht Polly es sich sich im Schatten eines beeindruckenden Perserpferdes gemütlich, das, so lese ich später, ein doppelköpfiger Bulle sein soll. Nun ja.
Heiß, heißer, Iran
Das nächste Ziel ist Shiraz, knapp 650 Kilometer entfernt. Und lasst euch sagen: Alles ist heiß. Die Luft ist heiß (meist 46-48°), mein Trinkwasser ist heiß, die Zahnpasta ist heiß. Kupplungs- und Bremshebel sind so heiß, dass ich Brandmale an den Innenseiten meiner Finger bekomme. Die Hitze von Wetter, Asphalt und Boxermotor lösen die Sohlen von meinen Stiefeln, und der Instantkaffee, der in meinem schwarzen Koffer umgekippt ist und sich gleichmäßig verteilt hat, wird zum Teil im Koffer geröstet. Selbst meine Nasenschleimhäute trocknen aus und verkrusten.
Polly hingegen ist fröhlich und genießt den Fahrtwind, als wäre er 20 Grad kühler. Ich hab sie auf ein nasses Handtuch gesetzt und den Sonnenschutz über das Boot gezogen, aber sie legt sich nur selten hin, um sich zu schützen. Verrückterweise ist ihr Fell nicht heiß – sie scheint für derartige Abenteuer gemacht zu sein. Es erstaunt mich, wie sehr mich das Fahren in einer solchen Hitze anstrengt – ich bin jeden Abend komplett erledigt.
Zum Glück gibt es immer wieder Wasserläufe, an denen wir uns erfrischen und ausruhen können. Ab und zu kommt auch einen Schafherde vorbei, stillt unter gemütlichem Gebimmel ihren Durst und zieht weiter.
Naghsh-e Rosham
Nach einigen Tagen in Shiraz geht es weiter in Richtung Persepolis – PersePolis, die Stadt der Perser. Weil ich aber immer gefragt werde, ob ich mir auch Naghsh-e Rosham anschauen würde und weil es in der Nähe von Persepolis liegt, biege ich dorthin ab. Ich weiß nicht, was mich erwartet, habe den Namen noch nie gehört und bin dann überwältigt, vor den Grabkammern der großen Perserkönige Dareios I., Xerxes I., Artaxerxes I. und Dareios II. zu stehen.
Bild (c) Amir Hussain Zolfaghary
Das in die steile Felswand gehauene Ensemble ist einfach beeindruckend. Die vier Grabmonumente haben eine kreuzförmige Grundform, was allerdings nichts mit dem christlichen Glauben zu tun hat (logisch). Vielmehr vermutet man, dass der untere Teil das Gerüst getragen hat, von dem aus der Rest rausgehauen und bearbeitet wurde. Irgendwie wenig elegant, dann so einen Baustellenrest zu hinterlassen – oder bin ich zu streng?
Eine andere spannende Hinterlassenschaft ist eine leere Fläche zwischen den Gräber von Dareios I. und dem von Xerxes I. (Grab eins und zwei von rechts). Was da hinsollte, was die drei Quadrate bedeuten und warum die Arbeiten einfach so abgebrochen wurden, weiß niemand. Hat was von einem Maler, der seine Leinwand vorbereitet, einen Farbklecks daraufsetzt und dann verschwindet, während seine Zigarette im Aschenbecher ihrem Ende entgegenglimmt.
Persepolis
Es gibt sie, diese Orte mit Ausstrahlung. Oder sagen wir: Manchmal ist da ein Zauber zwischen Orten und Menschen, wie man es manchmal zwischen Menschen erlebt. Die Luft wird dichter, man atmet anders. Ich habe das auf dem Jakobsweg erlebt, in einer jahrhundertealten, in die Erde gegrabenen Kapelle im spanischen Nájera. Und es scheint sich hier anzubahnen, während ich mich der Palastanlage von Persepolis nähere. Polly läuft unbeeindruckt vor, ich bleibe stehen.
Der Entschluss, nicht hineinzugehen, ist plötzlich da und richtig. Zum einen, weil das Gefühl zu intensiv ist, das ist mir heute zu viel. Zum anderen, weil Alexander der Große überhaupt erst durch meinen Mann in mein Leben gekommen ist,. Es fühlt sich falsch an, Persepolis ohne ihn zu entdecken, zumal mir ohne ihn unendlich viel Wissen und Begeisterung entgehen würde.
Alexander hat in Persepolis keine rühmlichen Spuren hinterlassen, seine Truppen haben die Palastanlage 330 v. Chr. zerstört. Und natürlich gibt es für diesen Verlust keine Worte. Und trotzdem ist dieser Ort magisch – ich werde also wiederkommen.