Karpaten 3 – Kurz davor und mittendrin

Wie fasst man Tausende von Eindrücken zusammen, die vollkommen unterschiedlich und überraschend oft sogar gegensätzlich sind? Ich hoffe, es gelingt mir einigermaßen. Wenn nicht, schiebt es bitte auf den Wein, den ich nachher extra deshalb noch trinke. Viel Spaß!

Gerade noch rechtzeitig bemerke ich, dass der höchste Berg der Karpaten nicht in Rumänien, sondern in der Slowakei liegt. Komisch, wo ich doch wegen der Karpaten nach Rumänien… na, egal. Den muss ich mir wohl ansehen. Das Wetter ist toll, man sieht den Gerlachkovky Stit schon von Weitem. Immer wieder fahre ich an Straßenständen vorbei, die Weidenkörbe in rauen Mengen verkaufen – werden die wirklich gebraucht? Ich frage mich das auch in Deutschland, wenn ich Strick- und Wollläden sehe – wenn das Gesetz von Angebot und Nachfrage gilt, dann ist an der Theorie mit den Paralleluniversen tatsächlich was dran.

Auf halber Strecke in die Höhen des Gerlachkovsky merke ich, dass ich ihn von unten eigentlich viel zu schön finde, um weiter emporzufahren. Es fühlt sich an, als ginge er mir verloren – ich breche ab. Dass es nicht nur emotional die richtige Entscheidung war, sehe ich etwas später: Der Berg ist vor lauter Wolken nicht mehr zu sehen, in der Ferne donnert es schon.

Die Hohe Tatra war schon in Zeiten des Sozialismus Tourismusgebiet und ist es immer noch. Wen wundert’s, sie ist schließlich eines der schönsten Gebiete der Slowakei. Und so sieht man denn auch prachtvolle Hotels, die aus einer anderen Zeit kommen – wer mag, darf als Vergleich auch das Sanatorium aus dem „Zauberberg“ bemühen.

In einem dieser Nobelorte richte ich mich hinter einer Apotheke ein.

 

Am nächsten Morgen döse ich unentdeckt bis 11 Uhr: Heftiger Regen macht seit dem frühen Morgen alles andere zwar nicht unmöglich, aber doch unlustig. Dann aber machen sich Hunger und die Sorge um Josi bemerkbar. Letztere wäre nicht nötig gewesen – jemand hat sie liebevoll mit einem farblich passenden Schloss gesichert und charmanterweise seine Telefonnummer dagelassen.

Nach einem langen Frühstück lade ich die Polizei telefonisch vor, werde darüber informiert, wo ich Parktickets (!!!) bekomme, und werde vollkommen überraschend mit dem Erlass der Strafe beschenkt, als ich um eine Rechnung und Überweisung nach dem 1. September bitte – dann hätte ich wieder Geld auf dem Konto. Der nette Polizist befreit Josi von den Ketten des Sozialismus, und ich fahre aus dem Regen in die Sonne. Über unmarkierte, kurvige Straßen geht es durch dichte Wälder, Wasserdampf steigt aus Bäumen, während Lichtstrahlen durch die Bäume brechen. Mit dem sprichwörtlichen Dauergrinsen im Gesicht lasse ich Autos überholen, um die Fahrt zu genießen und jederzeit zum Staunen und/ oder für ein Foto anhalten zu können.

 

Diese Nacht verbringe ich neben einer Kirche – vielleicht ist es Inspiration für das nächste Krippenspiel?

Nach einer wohltuenden Dusche in einer Esso-Tankstelle stehen die Durchquerung Ungarns und die Ankunft in Rumänien auf dem Programm. Die Kontraste sind in Ungarn ebenso groß wie in den Ländern zuvor: ärmliche und wohlhabend direkt beieinander. Wobei ärmlich auch das mehrgeschossige Haus ohne Fensterscheiben ist, auf dessen Balkonen Kinderwäsche in der Sonne trocknet.

Der Grenzübergang nach Rumänien ist der einzige bisher, an dem tatsächlich Menschen sind – und die erledigen sogar ihren Job. Kontrollieren Frachten und Pässe und werden dabei von einem streunenden Hund beobachtet. Wurde der als Klischee hier ausgesetzt?

 

Ich bin gespannt, was Rumänien zu bieten hat – mit Blick auf Hunde, Landschaften und Menschen. Ich werde berichten!

 


Graffiti

Ich mikro-abenteure jetzt — Essen 2

Erstens kommt es anders…

… und zweitens kommt das dann auch noch richtig früh. Heute um 7:04 Uhr erreichte mich die Nachricht, dass mein Interviewpartner, mit dem ich um 10 Uhr in Essen verabredet war, krank flachliegt, da geht gar nichts mehr. Es ist kein Corona, er wird auch durchkommen, nur reden ist heute überhaupt nicht drin. Was bei einem Podcast-Interview ja nicht unwesentlich ist.

Nun kann so etwas natürlich immer passieren und ebenso natürlich wünsche ich ihm von Herzen schnelle und gute Besserung. Aber ich gebe zu, dass ich mich jetzt (8:10 Uhr) erst einmal sortieren muss. Ja, immer noch – ich hatte aber auch erst einen Kaffee. Wartet, ich hole mir eben einen zweiten.

Hmm… besser. Da fällt mir doch glatt ein, dass schon ein NDR-Interview zu meiner USA-Tour gibt – perfekt zur Überbrückung.

Ich denke, ich werde mich auf den Weg zurück nach Kiel machen. Die Tage seit Montag waren toll, es tat gut, wieder so entspannt unterwegs zu sein. Aber so ganz ohne Ziel will ich jetzt auch nicht durch Deutschland vagabundieren, zumal ich meine Webseite endlich wieder zum Leben erwecken will.

So, genug geplaudert, jetzt kommt der Bericht der letzten beiden Tage. Ich habe euch in der Blohmeschen Wildnis zurückgelassen, wo Mark und seine Mutter mir nicht nur einen Platz für die Nacht, sondern auch ein oberleckeres Frühstück mit selbstgebackenem Brot geschenkt haben. Eigentlich wollte ich gegen neun wieder auf der Straße sein, es wurde dann halb elf… Was allerdings auch damit zu tun hatte, dass ich beschissen geschlafen hatte: Ich hatte allen Ernstes vergessen, wie meine beschissene Luftmatratze aufzupumpen ist. Nach x Theorien und Versuchen hab ich es aufgegeben, das so typische wie fragwürdige „Eine harte Unterlage ist bestimmt gut für den Rücken.“ gedacht und mich auf die platte Matte gelegt. Was nicht nur hart war, sondern auch kalt. War bestimmt auch gut für den Rücken – Schmerzen sind doch ein gutes Zeichen, oder? Immerhin habe ich so viel geschlafen, dass ich die korrekte Isomattenlösung träumte und seitdem weich und warm und gut schlafe.

Fühle nur ich mich hier an »Game of Thrones« erinnert?

Für den Weg nach Süden hatte ich mich kleine kleinste Straßen ausgesucht, Zeit hatte ich ja. Dabei fiel mir auf, wie viele Weihnachtsbaumplantagen es gibt – gaaaaaanz viele! Einem Weihnachtsbaumanbauer konnte ich dann endlich die Frage stellen, die mich schon immer interessiert hat: Stellt sich so jemand noch selbst einen Baum ins Wohnzimmer? Die Antwort: Ja. Aber nur Nordmann. Gut zu wissen.

All die kleinen zuckersüßen Straßen und Orte, durch die ich gefahren bin, werde ich hier nicht beschreiben – das will ja keiner lesen. Da muss man einfach selbst durch. Ein Tipp aber: Wer die Große Freiheit sucht, ist im kleinen Findorf richtig. Und wer durch blühende und duftende Landschaften fahren will, auch. Ich hoffe, im nächsten Leben nur halb so viele Pflanzen mit Namen zu kennen wie dort blühen – es ist unglaublich und wunderschön.

In der Frage der Übernachtung habe ich es mir von Dienstag auf Mittwoch leicht gemacht: Aus nostalgischen Gründen hab ich den Campingplatz am Doktorsee in Rinteln aufgesucht. Wunderschön, besonders zu Corona-Zeiten: Es war nur noch ein weiteres Zelt auf dem Platz. Normalerweise kann man im See baden, aber auch das fiel Corona zum Opfer. Der Blick auf den abendlichen See mit einem leckeren Gin Tonic hat es zwar fast wettgemacht, aber eben nur fast.

Am folgenden Vormittag hab ich in einem Café gefrühstückt und gearbeitet. Ein paar Stunden lang, gemütlich und produktiv. Blöd nur, dass man so mitbekommt, dass es sowohl unter Angestellten als auch unter Gästen nicht wenige gibt, die die Vorsichtsmaßnahmen noch nicht so ganz begriffen haben. Mit Überreichen des Kontaktfragebogens sagten erstere: „Anschrift oder Telefonnummer, eins von beidem reicht.“ Ach ja? Ich möchte meine Gesundheit und die der Menschen, mit denen ich als Virusträgerin in Kontakt komme, nicht in den Händen der Deutschen Post wissen. Oder überlasteten und gestressten Gesundheitsamtmitarbeitern zumuten, erst mühsam meine Handynummer zu recherchieren.
Auf der anderen Seite: „Ich soll das ausfüllen? Ich war doch gestern schon hier und hab alles hingeschrieben!“ Ja, danke.
Ich muss gestehen, dass ich mich darüber unendlich aufregen kann. Ebenso wie über einen Angestellten, der vor Gästen lang und breit über den Corona-Papierkram motzte. Warum regt er sich auf? Es gibt zwei Alternativen: den Laden wieder schließen oder USA-Zustände. Ganz einfach.

So, zurück zu Schönem. Rinteln ist sehr süß. Es hatte sogar mal eine Uni, jawohl! Und was gab es dort? Einen oder zwei Pedellen! Nochmal jawohl! Ich hatte das Wort noch nie gehört, hätte nicht einmal sagen können, wie ein einziger davon genannt wird. Nun, er wird „Pedell“ genannt, und die hochoffizielle Bedeutung des Wortes ist: „Ein Pedell ist eine organisatorische Hilfskraft bei öffentlichen Institutionen, wie Gerichten, Schulen und insbesondere an Universitäten.“ (Wikipedia). Wieder was gelernt!

Auch schön ist es, die Freuden des Campens wiederzuentdecken. So zum Beispiel den betörenden Geruch der verwesenden Nacktschnecke, die man vor zwei Tagen beim Abbau des Zeltes miteingerollt hat. Oder der spürbare Präsenz jedes Muskels, Gelenks und Knochens am frühen Morgen – und die Gewissheit, dass man sich im Laufe des Tages mit jeder Stunde jünger fühlt.

Von Rinteln ging es quer durchs Sauerland, ich wollte so nah wie möglich an Essen heranfahren, um am Donnerstagmorgen so wenig wie möglich Großstadtverkehr ertragen zu müssen. Die Nacht war USA-like: im Schatten der Kirche von Cobbenrode (s. Suchbild). Ein Nachbar zeigt mir, wo der Pastor wohnte, schließlich wollte ich ihn um Erlaubnis bitten. Da er aber nicht zu Hause war, habe ich auf seine Himmel und Erde umfassende Vergebung gebaut und das Zelt unerlaubt aufgebaut. Eigentlich wollte ich das in Essen austesten, aber das wird nun noch warten müssen.

Offen bleiben auch folgende Fragen: Wann kommt der Handstaubsauger fürs Zelt? Und warum bewegt sich der Kopf meines Gummihammers langsam, aber sicher in Richtung Stabmitte („Physik“ als Erklärung reicht mir nicht aus)? Wie kriege ich ihn wieder nach oben?

Und warum dürfen alte weißhaarige Männer in grauen Kleinwagen mit dem Kennzeichen SO-… unterwegs sein?? Die fahren so langsam, dass sie nicht geblitzt, sondern gemalt werden! Überholen kann man sie auch nicht, ohne ihren Herzinfarkt zu riskieren…

Den Ausgleich dafür hab ich jetzt auf der Autobahn. Sonst meide ich sie wie die Pest, aber jetzt darf sie mich die den 5 Bs bringen, die Glück verheißen: mein Liebster (ja, fängt mit B an), die Badewanne, Breaking Bad und Bizza. Na gut, der war schlecht. Aber 4 sind es 😊.

Bis bald! (noch 2 Bs für alle, die bis hierhin gelesen haben 😉)