Polly schaut unter rotem Vorhang hervor

Suche nach Polly – die ganze Geschichte

Zwölf Tage habe ich mich auf der türkischen Seite der türkisch-iranischen Grenze ausgeruht, gestern bin ich weiter gen Westen gefahren. Ich merke, dass mich die fünf Wochen lange Suche nach Polly nicht loslässt – es gab so viele Begleitumstände, die mir noch in den Knochen stecken.

Bisher habe ich (aus Feigheit? Vernunft? Sorge um Polly?) nicht alles erzählt, was mit der Suche zu tun hatte und sie so sehr behindert haben. Vielleicht auch, weil alles so unglaublich, so absurd klingt? Finde ich auch – aber so war es.

 

Wer wartet schon auf einen Hund?!

Nach Pollys Verschwinden verbrachte ich eine Woche lang Tag und Nacht am “Trennungsort”. Es war eine Landstraße, Kilometer bis zu den nächsten Orten, dazwischen immer wieder Schafherden, kleine Höfe, Schutzhütten mit Zisternen. In einer dieser Hütten – in Sichtweite vom Trennungsort – habe ich geschlafen.

Steinhütte im Iran mit Motorradgespann

Aus Sicherheitsgründen (“Jeder weiß, dass du hier allein schläfst – das ist gefährlich!”) wurde ich dann in ein Guesthouse in Varzaneh gesteckt. Es war furchtbar, von der Straße “wegzuziehen”, als ließe ich Polly im Stich. Von Varzaneh aus bin ich jeden Tag zurück zu „unserer“ Stelle gefahren, habe immer wieder Duftmarken dagelassen, die Umgebung abgesucht und Stunde um Stunde gewartet.

Ihr könnt euch meine Erleichterung vorstellen, als Polly ein paar Tage später ausgerechnet in Varzaneh gesehen und gefilmt wurde … meine entsetzte Ratlosigkeit, als sie nicht auf mich reagierte … meine Wut, als ein paar dämliche Jugendliche auf ihren beschissenen knatternden Mofas hinter ihr herfuhren, sie verängstigten und verjagten … und meine ohnmächtige Fassungslosigkeit, als mir am nächsten Tag gesagt wurde, ich müsste aus Varzaneh verschwinden und ins 100 Kilometer entfernte Isfahan gehen.

grüner Hoodie mit Schriftzug

Wenn meine Iran-Zeit ein Hoodie wäre.

Wie bitte??? Wer sollte mir vorschreiben können, wohin ich gehe, und warum?? Nun, im Iran können dies Polizei und Sicherheitsdienst. Sie müssen es nicht begründen, haben es in meinem Fall aber netterweise getan: Spionageverdacht. Was für mich vollkommen absurd klang, war für sie offenbar schlüssig: Welcher vernünftige Mensch bleibt schon eine Woche lang Tag und Nacht an einer Straße?! Für so ein niederes Wesen wie einen Hund kann es ja kaum sein, also muss es andere Gründe geben. Offenbar hatte ich meine Spionagetätigkeiten an der Straße beendet und dann tagelang in Varzaneh fortgesetzt – denn in einem Ort, in dem so gar nichts los ist, ist nur das möglich. Dem musste nun endlich Einhalt geboten werden: Man verbot mir offiziell, Varzaneh wieder zu betreten.

 

Verbannung nach Isfahan

Mich dem zu widersetzen, hätte weder Polly noch mir genutzt, also habe ich mich schweren Herzens gefügt und bin nach Isfahan (“Der Höhepunkt jeder Iranreise!”) gezogen. Jeder Kilometer, den ich zwischen Polly und mich brachte, tat körperlich weh.

Tagsüber zurück nach Varzaneh zu fahren, um weiter nach der Dicken zu suchen, war ausgeschlossen – mein Gespann zu auffällig, ich zu europäisch, die Straßen der Stadt zu voll. Blieb also nur nachts ab 23 Uhr, wenn die Leute langsam in ihren Häusern verschwanden; vor Tagesanbruch musste ich wieder weg sein. Die Polizei hatte meine Hoteldaten in Isfahan gespeichert, aber ob das Hotelpersonal melden würde, wenn ich dem Gespann aus der Tiefgarage fahren würde, wusste ich nicht. Ich musste es einfach riskieren.

Also bin ich nachts nach Varzaneh gefahren, um meinen Geruch an den Stellen zu lassen, an denen wir sie gesehen hatten, und um da sein, sollte sie sich nähern. Es gab nicht viele dieser Nachtfahrten. Zum einen war ich bald mit meinen Kräften am Ende, zum anderen hat mir eine Beinverletzung den Rest gegeben: Einmal tauchte tatsächlich ein Polizeiwagen auf, jemand hatte Molly gesehen und gemeldet. Ich bin zu Molly gerannt, um so schnell wie möglich zu verschwinden, und dabei in ein schultertiefes, gemauertes Loch gefallen. Weiß der Teufel, wozu das diente …

Irgendwie kam ich wieder heraus, humpelte zu Molly und saß halbwegs lässig drauf, als der Polizei vor mir hielt. Zum Glück sprachen sie kein Wort Englisch und waren offenbar nicht über die verrückte deutsche Spionin informiert. Einer von ihnen (beide waren erschreckend jung) hat Molly pseudo-fachkundig gemustert, dann ließen sie mich wegfahren. Was ich betont langsam und lässig tat, ich hatte ja nichts zu verbergen … Mit wahnsinnig schmerzendem Bein, auf dem sich in den nächsten Tagen ein Gemälde entwickeln sollte, ging es zurück nach Isfahan.

Bein mit Wunde, großer blauer Fleck

Mir war klar, dass ich diese nächtlichen Touren nicht mehr schaffe, zumal in den nächsten ein oder zwei Nächten vielleicht sogar Polizisten an der Stelle warten würden. Ich weiß, es klingt paranoid, aber wartet ab …

 

Hundeschnüffler und Menschenschnüffler

Ein Bekannter erzählte mir vom Tak Taku Guesthouse, knapp 60 Kilometer von Varzaneh entfernt. 40 Kilometer näher an Polly – und noch hatte ich zwei Wochen Zeit, bis das Visum ablief. Mir war zu dem Zeitpunkt alles egal, auch, ob die Polizei es merken würde, dass ich Isfahan verlasse. Ich bin also in das Hostel gefahren, das mir mit seiner friedlichen Atmosphäre gleich gutgetan hat. Ich habe ein Zimmer bezogen, ausgepackt und war bereit, nachts von hier aus nach V. zu fahren.

In diesen Wochen boten über instagram (das im Iran geduldet und munter genutzt wird) unzählige Menschen ihre Hilfe bei der Suche nach Polly an. Darunter ein Team mit Suchhunden, die etwas von Polly haben wollten, um ihren Geruch aufzunehmen und ihr nachzuspüren. Ich war so aufgeregt – endlich ein vernünftiger Ansatz, endlich wieder Hoffnung!

 

Screenshot google translate persisch-deutsch - Suchhunde

Das Team wollte das Schnüffelstück bei mir abholen. Ich gab ihnen die Guesthouse-Adresse – und habe nie wieder von ihnen gehört. Dafür bekam der Inhaber des Guesthouses einen Anruf von der Polizei: Er solle melden, wenn ich das Haus in Richtung Varzaneh verlasse. Und noch einmal: Wenn ich in Varzaneh erwischt würde, würde ich festgenommen. Meine Hundeschnüffler waren Menschenschnüffler gewesen. Gott, wie surreal das alles klingt!

Auf keinen Fall konnte ich riskieren, dass Mohammad meine “Ausflüge” der Polizei meldete. Ich konnte aber auch nicht von ihm verlangen, es nicht zu tun und zu lügen – nicht in diesem Land. Ich begann, meine Sachen zu packen, ich würde irgendwo einen Ort finden müssen, an dem mich tagsüber mit Molly verstecken konnte, um dann nachts weiter nach Varzaneh zu fahren.

Kurze Dienstwege

Zum Glück blieb mir das erspart; ich bin auch nicht sicher, ob ich noch die Energie für ein Versteckspiel tagsüber gehabt hätte – das nächtliche reichte mir schon. Mohammad kam auf die Idee, seinen Bürgermeister anzurufen, der sich wiederum beim Sicherheitsdienst für mich einsetzen könnte. Mit Erfolg: Mir wurde gnädigerweise erlaubt, in Begleitung (damit ich nicht spioniere …) in Varzaneh nach Polly zu suchen; ich müsste jedoch täglich vorher anfragen.

Varzaneh, Iran, bei Nacht mit Vollmond

Und so verbrachte ich meine letzten Tage im Iran: allabendliche Fahrten nach Varzaneh, maximale Suchzeit, null Polly. Selbst dabei wurde ich noch einmal der Polizei gemeldet, die ja aber zum Glück Bescheid wusste. Was für ein Land …

Doch irgendwann war klar: Ich muss los zur Grenze, mein Visum läuft aus – ich hatte nicht mehr die Energie, mich auf ein Verlängerungsverfahren einzulassen. Und offenbar trieb Polly sich ohnehin überall herum, nur nicht dort, wo ich sie suchte oder auf sie wartete.

 

Raus aus dem Iran

Polly zurückzulassen war unendlich schwer. Weil sich der Gedanke “Vielleicht hätte ich sie morgen gefunden!” einfach nicht verscheuchen lässt. Weil ich nicht weiß, ob es ihr gut geht. Ich hoffe es, ich halte es für wahrscheinlich – einfach, weil sie ist, wie sie ist. Aber ich weiß es eben nicht, und das ist schwer auszuhalten. Als ich sie zu mir geholt habe, habe ich die Verantwortung für sie übernommen, und der bin ich nicht gerecht geworden. Und sie fehlt mir so sehr.

Immer, wenn ich mit ihr unterwegs war, bin ich mit offenem Visier gefahren, damit ich sie jederzeit im Blick hatte. Der heruntergeklappte Kinnteil ersparte mir jetzt den Blick auf das Polly-freie Boot.

Ihr fehlendes Gewicht habe ich mit meiner Reisetasche ausgeglichen, in der außer Laptop und Campingkrams alles war, was ich bei mir hatte: Klamotten, Kamera, Ausrüstung für kalte Regionen (meine Wärmflasche!), Bücher, Reiseapotheke. Darüber freuen sich nun (hoffentlich) diejenigen, die die Tasche plus Lesebrille, Powerbank, Bargeld und iranischer Kreditkarte aus dem Tankrucksack geklaut haben, während ich drei Meter weiter erschöpft döste. Erschreckend – oder stoisch – war, dass es mich nicht mehr groß berührt hat. Na gut, die Wärmflasche, die schon.

 

Gedanken

Ich habe gemerkt – und es steckt mir auch jetzt noch in den Knochen – wie schnell man paranoid wird: Kann ich jetzt schlecht über den Iran, über die Polizei schreiben? Kann ich später in meinem Buch darüber schreiben? Komme ich dann jemals wieder ins Land? Und noch viel wichtiger: Werden sie (wer auch immer “sie” sind) Schwierigkeiten machen, wenn Polly doch noch gefunden wird und ich sie nach Deutschland holen möchten? Und dürfen das überhaupt Gründe sein, nicht von meinen Erfahrungen zu erzählen?!

Wahrscheinlich stelle ich mich eh an. Sollten sie nicht Wichtigeres zu tun haben, als sich um eine Touristin und ihren Hund zu kümmern?? Sollten sie – aber irgendjemand hatte ja auch Zeit und Lust, mir die Suche nach Polly so schwer wie möglich machen.

All das hat mich an die DDR-Zeit erinnert. Ich bin dort aufgewachsen, war 14, als die Mauer fiel, und damit zu jung, um die Atmosphäre in einem System der Willkür zu spüren. Doch jetzt ahne ich, wie sehr Unsicherheit und diffuse Angst Handlungen und Entscheidungen beeinflussen können – gerade, wenn andere, die man liebt, betroffen sind. Und wenn man nicht weiß, wem man trauen kann. In Varzaneh sagte jemand zu mir: “Der Iran hat 85 Millionen Spione.” Meine naive Frage nach der Einwohnerzahl des Irans wurde mit einem bedeutungsschweren Blick beantwortet.

Eines kann ich zu meiner Zeit im Iran wohl sagen: Ich habe eine Facette dieses Landes kennengelernt, die nicht viele Touristen sehen – und ich bin heil davongekommen. Das können nicht alle von sich behaupten: Ein französischer Tourist wurde vor wenigen Jahren in Varzaneh verhaftet, weil er mit seiner Drohne filmte. Ja, war dumm von ihm, aber kein Staatsverbrechen – er saß dafür dreieinhalb Jahre im Gefängnis. Der Iran macht es wie Russland: Ausländer werden – teils unter fadenscheinigen Vorwänden – als Austauschmasse in Gefängnissen gesammelt, man weiß ja nie, gegen wen oder was man sie eintauschen könnte.

Noch kann ich das Ganze nicht abschließen – vor allem, weil es ja bleibt, dass Polly weg ist, dass sie fehlt. Im Boot, das leer bleibt, auf jeder Wiese, auf der sie sich nicht wälzt, bei jeder Katze, die sie nicht auf den nächsten Baum jagt. Sie ist der beste Hund, den ich je hätte haben können. Und trotzdem sind die Erfahrungen der letzten Wochen wertvoll, ich habe viel gelernt. Nicht nur über den Iran, auch über mich. Und das kann ja nie schaden.


Karpaten 3 – Kurz davor und mittendrin

Wie fasst man Tausende von Eindrücken zusammen, die vollkommen unterschiedlich und überraschend oft sogar gegensätzlich sind? Ich hoffe, es gelingt mir einigermaßen. Wenn nicht, schiebt es bitte auf den Wein, den ich nachher extra deshalb noch trinke. Viel Spaß!

Gerade noch rechtzeitig bemerke ich, dass der höchste Berg der Karpaten nicht in Rumänien, sondern in der Slowakei liegt. Komisch, wo ich doch wegen der Karpaten nach Rumänien… na, egal. Den muss ich mir wohl ansehen. Das Wetter ist toll, man sieht den Gerlachkovky Stit schon von Weitem. Immer wieder fahre ich an Straßenständen vorbei, die Weidenkörbe in rauen Mengen verkaufen – werden die wirklich gebraucht? Ich frage mich das auch in Deutschland, wenn ich Strick- und Wollläden sehe – wenn das Gesetz von Angebot und Nachfrage gilt, dann ist an der Theorie mit den Paralleluniversen tatsächlich was dran.

Auf halber Strecke in die Höhen des Gerlachkovsky merke ich, dass ich ihn von unten eigentlich viel zu schön finde, um weiter emporzufahren. Es fühlt sich an, als ginge er mir verloren – ich breche ab. Dass es nicht nur emotional die richtige Entscheidung war, sehe ich etwas später: Der Berg ist vor lauter Wolken nicht mehr zu sehen, in der Ferne donnert es schon.

Die Hohe Tatra war schon in Zeiten des Sozialismus Tourismusgebiet und ist es immer noch. Wen wundert’s, sie ist schließlich eines der schönsten Gebiete der Slowakei. Und so sieht man denn auch prachtvolle Hotels, die aus einer anderen Zeit kommen – wer mag, darf als Vergleich auch das Sanatorium aus dem „Zauberberg“ bemühen.

In einem dieser Nobelorte richte ich mich hinter einer Apotheke ein.

 

Am nächsten Morgen döse ich unentdeckt bis 11 Uhr: Heftiger Regen macht seit dem frühen Morgen alles andere zwar nicht unmöglich, aber doch unlustig. Dann aber machen sich Hunger und die Sorge um Josi bemerkbar. Letztere wäre nicht nötig gewesen – jemand hat sie liebevoll mit einem farblich passenden Schloss gesichert und charmanterweise seine Telefonnummer dagelassen.

Nach einem langen Frühstück lade ich die Polizei telefonisch vor, werde darüber informiert, wo ich Parktickets (!!!) bekomme, und werde vollkommen überraschend mit dem Erlass der Strafe beschenkt, als ich um eine Rechnung und Überweisung nach dem 1. September bitte – dann hätte ich wieder Geld auf dem Konto. Der nette Polizist befreit Josi von den Ketten des Sozialismus, und ich fahre aus dem Regen in die Sonne. Über unmarkierte, kurvige Straßen geht es durch dichte Wälder, Wasserdampf steigt aus Bäumen, während Lichtstrahlen durch die Bäume brechen. Mit dem sprichwörtlichen Dauergrinsen im Gesicht lasse ich Autos überholen, um die Fahrt zu genießen und jederzeit zum Staunen und/ oder für ein Foto anhalten zu können.

 

Diese Nacht verbringe ich neben einer Kirche – vielleicht ist es Inspiration für das nächste Krippenspiel?

Nach einer wohltuenden Dusche in einer Esso-Tankstelle stehen die Durchquerung Ungarns und die Ankunft in Rumänien auf dem Programm. Die Kontraste sind in Ungarn ebenso groß wie in den Ländern zuvor: ärmliche und wohlhabend direkt beieinander. Wobei ärmlich auch das mehrgeschossige Haus ohne Fensterscheiben ist, auf dessen Balkonen Kinderwäsche in der Sonne trocknet.

Der Grenzübergang nach Rumänien ist der einzige bisher, an dem tatsächlich Menschen sind – und die erledigen sogar ihren Job. Kontrollieren Frachten und Pässe und werden dabei von einem streunenden Hund beobachtet. Wurde der als Klischee hier ausgesetzt?

 

Ich bin gespannt, was Rumänien zu bieten hat – mit Blick auf Hunde, Landschaften und Menschen. Ich werde berichten!