„Und kannst du davon leben?!“

Muss ich eigentlich eine Triggerwarnung setzen, wenn ich mich gleich nackig mache? Nicht im wörtlichen Sinne, aber doch auf eine Weise, die nicht leicht fällt. Mir zumindest nicht. Schließlich redet man in Deutschland nicht über Geld. Zumindest dann nicht, wenn man ganz viel oder ganz wenig davon hat. Also, ihr Lieben, betrachtet euch als gewarnt.

„Was machst du beruflich?“

Ihr kennt das: Lässt man sich auf einen längeren Smalltalk mit einer unbekannten Person ein, fällt irgendwann die Frage: “Und, was machst du/ machen Sie beruflich?“ Ich gestehe, dass das einer der Gründe ist, aus denen ich Smalltalk hasse – auf der anderen Seite bin ich ja selbst neugierig. Bei manchen Menschen jedenfalls.

Viele Freelancer mögen auf diese Frage ganz selbstbewusst antworten – ich übe noch. “Reise-Autorin” oder (wenn ich richtig angeben will) “Motorrad-Reise-Autorin” ist meine Antwort, die mal mehr, mal weniger selbstbewusst kommt. Ich habe zwei Bücher über meine Motorradreisen geschrieben, insofern ist da auch nichts gelogen. Weil aber die letzte Reise und damit das letzte Buch corona- und hundebedingt schon ewig her sind, fühlt sich diese Bezeichnung seltsam an. Auf der anderen Seite betrachte ich jährlich werfende Autoren mit Skepsis – kann in dem Tempo Gutes entstehen?

„Und kannst du davon leben?!“

So sicher, wie meine Hündin Polly am sich öffnenden Kühlschrank auftaucht, folgt die Frage: “Und kannst du davon leben?” Lustig, dass in diesem Moment überhaupt keine Hemmungen bestehen, nach der finanziellen Situation zu fragen – macht man das bei Kollegen oder Nachbarn auch? “Ey, sag mal, kommst du eigentlich klar mit deinem Geld?” oder “Was ich Sie schon immer mal fragen wollte: Reicht Ihr Einkommen eigentlich für Ihren Lebensstil?” Aber schieben wir diesen Aspekt beiseite – wer das fragt, will ja nichts inspizieren und hat auch keine bösen Absichten.

Die Situation ist spannend, sogar sehr. Ich glaube nämlich, dass die Frage immer auch etwas mit dem Fragesteller zu tun hat – mit seinen Träumen, Ängsten und Entscheidungen.

Die Antworten

Und was bedeuten die Antworten? Während es noch relativ einfach ist, ein “Ja, kann ich.” als Erfolg zu interpretieren, fällt das bei einem “Nein.” schon schwerer. Weil der verrückte Aussteiger, der es gewagt hat, aus dem Hamsterrad rauszuspringen, da draußen ja offenbar nicht klarkommt mit seiner Idee.

Da ich nicht von meinen Büchern und Vorträgen leben kann, weiß ich nicht, wie Menschen auf ein “Ja, kann ich.” reagieren. Ich bin einen Monat nach Corona-Beginn in die Freiberuflichkeit gegangen, ich werde es noch ausprobieren. Ich kann also nur für die vergangenen beiden Jahre sprechen: “Nein, kann ich nicht.”

Und jetzt wird es noch spannender: Ganz oft habe ich nämlich den Eindruck, dass meine Antwort etwas Unerwartetes auslöst: Erleichterung. In diesem Mini-Moment ist der Fragesteller nicht mehr bei mir und meiner unrentablen Motorrad-Reise-Autorenschaft, sondern bei sich. Ich gestehe, dass ich nie nachgefragt habe, ob meine Wahrnehmung stimmt, und entschuldige mich bei allen, denen ich die Erleichterung fälschlicherweise unterstelle. Aber meine Interpretation dieser Erleichterung ist: “Puh, Gott sei Dank, sowas Verrücktes klappt nicht. Dann muss ich es auch nicht versuchen.”

Aber hab ich mit dem Leben meines Traumes nur dann Erfolg, wenn ich zu 100 Prozent davon leben kann? Ist ein Leben, in dem man seine Rechnungen bezahlt und trotzdem genug zeitlichen und inneren Freiraum für seine Leidenschaft hat, nicht auch ein Erfolg?

Mir ist (fast) jedes Mittel recht

Für mich ist es das. Sicher, ich hätte nichts dagegen, wenn meine Bücher und Veranstaltungen mir genügend Geld zum Reisen und Leben einbrächten. Aber das ist nicht mein Ziel. Mein Ziel ist ein Leben, in dem ich reisen und schreiben und meine Rechnungen bezahlen. Ob das Geld dafür aus Buchverkäufen und Vorträgen, über meinem Online-Shop, aus Lektoratsaufträgen, meinem Putzjob oder von leeren Dosen kommt, die ich auf Gassirunden einstecke, ist dabei zweitrangig. Ich hab mein Ziel und dafür ist mir (fast) jedes Mittel recht.

Und ja, das ist auch anstrengend. Manchmal sogar scheißanstrengend. Aber das waren meine Angestelltenjobs auch. Jemand sagte einmal: Es geht nicht darum, keine Probleme mehr zu haben. Es geht darum, geilere Probleme zu haben.

Ich weiß, was ich nächstes Mal auf “Und kannst du davon leben?!” antworte: “Nein, aber ich kann DAMIT leben.” Sehr gut sogar.

Was denkt ihr zu dem Thema? Ich freu mich auf eure Gedanken!

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